Blut muss fließen
Zeitpunkt schon eine Vielzahl geheimer Gigs in verschiedenen Ländern Europas ausfindig gemacht. Betreten hatte ich die Hallen aber nie, das war mir zu gefährlich. Die Songs konnte ich auch von draußen hören, und ich erkannte immer mehr Bands an ihren Liedern. Vereinzelt war es mir möglich, durch ein Fenster das Konzertgeschehen zu verfolgen. Außerdem habe ich dokumentiert, wer anreist.
Nur mit dem Verkauf der Rechercheergebnisse wollte es nicht klappen. Und wenn ich doch mal einen Bericht im Politikteil einer Tageszeitung platzieren konnte, fiel die finanzielle Bilanz nach folgendem Muster aus: Rechercheinvestitionen in Höhe von 500 Euro (für Fahrtkosten und Übernachtung beispielsweise) wurden mit einem Zeilengeld honoriert, bei dem am Ende 200 Euro herauskamen. Die Redaktionen degradierten meine Arbeit zum ehrenamtlichen Engagement.
Erschwerend wirkte es sich aus, dass ich aus Sicherheitsgründen versuchte, anonym zu veröffentlichen – also unter wechselnden Identitäten. Ich hatte folglich nie die Chance, mir »einen Namen zu machen«. Ein dauerhaft gleiches Pseudonym schien mir zu riskant zu sein, weil es den Neonazis Anhaltspunkte geboten hätte, an was ich arbeite. Und das hätte die Gefahr einer Enttarnung erhöht. Unter diesen Rahmenbedingungen musste ich meinen Lebensunterhalt in einem anderen Job verdienen.
Umso hoffnungsvoller stimmte mich der erste Fernsehauftrag. Meine Aufgabe war es, ein Team des Boulevard-Magazins an einen geheimen Konzertort zu lotsen und mit dem Redakteur hineinzugehen, der eine versteckte Funkkamera am Körper trug. Doch die Freude über dieses Projekt währte nicht lange. Es entstanden Konflikte in Sicherheitsfragen, weil der Kollege sich nicht an vorherige Absprachen hielt. Zudem eröffnete mir der Kameramann, der das | 11 | Aufnahmegerät im Auto bediente, kurz vor dem Dreh, dass die Funksignale nicht durch Mauern dringen könnten.
Am Konzertort angekommen, war das Scheitern vorprogrammiert. Die Bands spielten in einer Tanzbar mit entsprechend gedämmten Wänden. Immerhin ein paar Bildblitzer transportierte der Sender nach draußen. Am Ende gab es aber keine fünf Sekunden brauchbares Material. Eine Wiederholung des Vorhabens bei einem anderen Konzert und vor allem mit anderer Technik kam für mich aus Sicherheitsgründen mit diesem Redakteur nicht mehr in Frage.
Einige Wochen später unternahm ich einen neuen Versuch. Ich schrieb an sämtliche Fernseh-Politmagazine in Deutschland, die ich kannte, und wies sie auf eine mögliche Videorecherche in der Skinhead-Musikszene hin – in einer Szene, in der junge Leute für den militanten Neonazismus begeistert werden. Das hatte auch der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) erkannt. Er bezeichnete die Skinhead-Musik als »Einstiegsdroge Nummer Eins ins gewaltbereite Milieu«. Trotzdem war das Treiben der Rechtsrocker staatlich und medial ziemlich unerforscht. Die konspirative Vorgehensweise der Akteure machte ihre Verfolgung zeitlich und finanziell sehr aufwendig und die Dokumentation dieses Treibens beinahe unmöglich. Ich war einer der Wenigen, die sich trotzdem an ihre Fersen geheftet hatten. Mich reizte diese Pionierarbeit, auch was die Recherchemethode betraf, die ich mir selbst erschlossen habe. Anfangs glaubte ich außerdem, eine journalistische Marktlücke entdeckt zu haben. Auf das Fernsehen schien das im Besonderen zuzutreffen. Denn es ist auf bewegte Bilder angewiesen, die Neonazis normalerweise nur von sich anfertigen lassen, wenn es unvermeidlich ist – bei Demonstrationen beispielsweise. Nicht aber auf Konzerten.
Mit dem Spiegel TV Magazin kam schließlich eine Zusammenarbeit zustande. Ein freier Kameramann, ein Recherchekollege und ich besuchten im September 2003 im Auftrag des Magazins ein Konzert in einem Stadtteil von Bad Salzuflen. Die Ausrüstung des Kameramannes funktionierte. Aufgrund der Akkulaufzeit waren die Aufnahmen jedoch auf eine gute halbe Stunde begrenzt. Das reichte inhaltlich noch nicht.
Ich schlug daher vor, am 4. Oktober 2003 ein internationales | 12 | Konzert zu drehen, das deutsche Neonazis im Elsass planten. Dass »Noie Werte« mit dem singenden Rechtsanwalt Steffen Hammer spielen sollte, war mir bekannt – wer die »Überraschungsband« sein würde, nicht. Ich spekulierte auf die süddeutsche Gruppe »Race War«, gegen die in Deutschland ermittelt wurde. Deshalb agierten die Musiker besonders konspirativ, was zu der Ankündigung als Überraschungsgast passte.
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