Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blut muss fließen

Blut muss fließen

Titel: Blut muss fließen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kuban
Vom Netzwerk:
Unterhaltungswert. So berichteten sie im Februar des Jahres 2000 von dem »wohl teuersten Hakenkreuz der Geschichte« an der Tür eines Kameradschaftsraumes, das eine Geldstrafe von 14 000 Mark nach sich gezogen haben soll. Der NIT-Sprecher spottete: »Früher konnte sich das Hakenkreuz noch jeder leisten.« Ein anderes Mal gab er sich als Kriegsgegner aus. Als der Bundestag über den Bundeswehreinsatz im Kosovo debattierte, forderte der Karlsruher: »Kein Blut für albanische Hütchenspieler.« Und wieder ein anderes Mal gab er Tipps für Kameraden: »Haltet euer Maul gegenüber den Behörden.«
    Insgesamt existierten mehr als 20 dieser Infotelefone in Deutschland sowie im deutschsprachigen Ausland. Sie wurden zunehmend vom Internet abgelöst, dessen Foren für mich wie geschaffen waren, um mit Pseudonymen zu experimentieren. Meine Legenden waren meist nahe an der Realität. Begonnen habe ich als junger Szeneeinsteiger, um ungeniert Fragen stellen zu können. Später habe ich als Skinhead-Veteran CD-Kritiken und Konzertberichte geschrieben, die Zweifel an meiner Szenezugehörigkeit erst gar nicht aufkommen ließen. Ich habe mit bis zu 40 Identitäten gleichzeitig gearbeitet – mit einzelnen mehr als zehn Jahre lang. Insider-Infos, die ich unter einem Pseudonym gewonnen hatte, konnte ich unter neuen Namen einsetzen, um Vertrauen aufzubauen. Den Mail-Accounts folgte eine Vielzahl von Handys, was die Recherchekosten steigen ließ. Über meine Persönlichkeitsprofile musste ich Buch führen, um nicht durcheinanderzukommen. Außer Wohnort, Alter, Beruf und Vorlieben galt es beispielsweise, gewisse Rechtschreibschwächen und andere sprachliche Marotten zu pflegen, um authentisch zu wirken.
    NPD-Feste mit Liedermachern gehörten zu den ersten Veranstaltungen, in die ich mich hineinwagte – vorzugsweise Open-Airs, die | 9 | Fluchtmöglichkeiten boten. Ich riskierte es damals noch, als Fremdkörper aufzufallen, schon alleine wegen meiner leicht wuscheligen, da gelockten Haare. Junge Neonazis hatten damals kaum Normalo- Frisuren, wie es heute oft der Fall ist.
    Die NPD bot sich für den Einstieg in eine verdeckte Recherche an. Die Partei trat und tritt gegenüber Unbekannten kontaktfreudig auf, weil sie Wähler gewinnen will. Neue Sympathisanten werden großzügig mit Infomaterial versorgt. Mitglieder von Freien Kameradschaften reagieren hingegen tendenziell misstrauisch auf Fremde.
    Um junge Leute zu rekrutieren, hat sich die NPD zunehmend dem Bereich angenähert, der mich vor allem interessierte: der neonazistischen Skinhead-Musikszene. Deren Konzertfahrten mit konspirativen Handynummern sowie Treffpunkten in Industriegebieten und auf Park-and-Ride-Plätzen gehören zur braunen Erlebniskultur. Das reizt nicht nur Jugendliche, das hat auch mich unter Recherchegesichtspunkten gereizt.
    Ich wollte diese konspirativen Strukturen knacken. Denn Musik ist das wirkungsvollste Instrument in der neonazistischen Nachwuchswerbung. Demonstrationen und Vortragsveranstaltungen wirken kaum als Publikumsmagneten – Konzerte hingegen sehr wohl. Von den Freien Kameradschaften über internationale Vereinigungen wie Blood & Honour und Hammerskin-Nation bis hin zur NPD setzen alle Kräfte auf rhythmisch verpackte Botschaften.
    Um Missverständnissen vorzubeugen: Niemand wird Nazi, nur weil er mal Nazi-Musik zu hören bekommt. Aber wenn junge Leute fremdenfeindliche Ressentiments haben (und das haben – wie ihre erwachsenen Vorbilder – viele), dann kann Musik wie eine Droge zum Anfixen wirken. Das damit verbundene Gemeinschaftsgefühl bei Konzerten kann dazu beitragen, dass Vorurteile zu Überzeugungen werden. Und daraus kann Aktionspotenzial entstehen. Auch der mutmaßliche Rechtsterrorist Uwe Mundlos soll sich in den 90er Jahren »insbesondere mit bestimmten Mitgliedern von Blood & Honour […] bei Skinheadkonzerten getroffen« haben. So steht es in einem Gutachten, das im Auftrag der Thüringer Landesregierung erstellt worden ist.
    Die Idee, ein Neonazi-Konzert mit versteckter Kamera zu filmen, ist im Sommer 2003 entstanden. Ein Kollege, der meine bisherigen | 10 | Recherchen kannte, wechselte für einige Zeit zu einem Boulevard-Fernsehmagazin, das einen gewissen politischen Anspruch hatte. Es war die Zeit, als die deutsche Neonazi-Kultband »Landser« vor Gericht stand. Deshalb wollte die Redaktion zeigen, was in der Skinhead-Szene los ist. Der Kollege vermittelte einem Redakteur den Kontakt zu mir.
    Ich hatte zu diesem

Weitere Kostenlose Bücher