Blut muss fließen
einschlägigen Internetforum: »Das eben in der Vorschau war die Halle von gestern . Die Wichser waren tatsächlich drin mit versteckter Kamera und haben gefilmt!!! Das gibt es doch gar nicht!!!«
Wenige Minuten später hatten die Kameraden Gewissheit. Das Magazin berichtete:
»Gestern Abend im Elsass. In einer Mehrzweckhalle im französischen Hinsbourg, nur knapp 30 Kilometer hinter der deutschen Grenze, wieder ein geheimes skinhead-Konzert. Offiziell war der Saal für eine Verlobungsfeier angemietet worden. Die örtliche Gendarmerie ist auch irgendwo, schreitet mangels Masse aber nicht ein. Rund 800 Rechte aus dem gesamten Bundesgebiet und Frankreich sind angereist. unter ihnen Aktivisten des in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerkes Blood & Honour. ebenfalls dabei: Sympathisanten der britischen Terrorgruppe Combat 18, verantwortlich für diverse Terroranschläge in Europa. Man gedenkt Ian Stuart Donaldsons, Mitbegründer von Blood & Honour und bekennender Neonazi. ihm huldigt an diesem Abend auch die deutsche Band ›Noie Werte‹.«
Dem Spiegel TV Magazin war es damit gelungen, topaktuell wie noch kein Fernsehmagazin zuvor, aus dem braunen Untergrund über die konspirativ und international organisierte Neonazi-Musikszene zu berichten. Über den Bildschirm flimmerten Skinheads, die hemmungslos abhitlerten. Und sie feierten den »Führer«-Stellvertreter Rudolf Heß, als die Baden-Württemberger Band »Noie Werte« das Lied Alter Mann von Spandau anstimmte. Der Sänger stand im Mittelpunkt des Interesses: Steffen Wilfried Hammer, von Beruf Rechtsanwalt. Spiegel TV hatte ihn ein paar Tage zuvor in seiner Reutlinger Kanzlei besucht und strahlte den »Versuch eines Interviews mit dem biederen Brandstifter« am 5. Oktober 2003 aus. | 20 |
Spiegel TV:
»Guten Tag.«
Hammer:
»Was wollen sie?«
Spiegel TV:
»sie sind Herr Hammer?«
Hammer:
»Richtig.«
Spiegel TV:
»Wir würden mit Ihnen gerne kurz reden.
Hammer:
»Es gibt nichts zu reden.«
Spiegel TV:
»Sie sind aber doch der Sänger von ›Noie Werte‹, das ist doch richtig?!«
Hammer:
»Wiedersehn.«
Noch in der Woche des Interviewversuchs kam es zu einem »Wiedersehen« beim »Noie Werte«-Konzert im Elsass. Und was einen weiteren Tag später bei Spiegel TV zu sehen war, erschütterte die Rechtsrockszene mindestens so sehr wie demokratisch gesinnte Fernsehzuschauer – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Skinheads grölten »Fuck the USA« und zeigten ungeniert Hitlergrüße, wofür sie in Deutschland Strafverfahren riskiert hätten. Die Neonazis waren sich absolut sicher, dass sie bei solchen Veranstaltungen unter sich sind. Das dokumentiert der Interneteintrag eines Forennutzers, der sich zum »White Warrior« hochstilisiert hatte: »Ist ja echt der Hammer, wie schnell die waren! Gestern Konzi, heute schon im TV.« Und »Proll-Power« äußerte sich fassungslos: »Kann gar nicht glauben, dass die da echt mit Kamera drin waren.«
Bands und Besucher des Memorial-Konzerts beteiligten sich an diesem Samstagabend unfreiwillig an der Aktion »Gesicht zeigen« – wenn auch auf etwas andere Art, als es die gleichnamige Kampagne gegen Nazis vorsieht. »Vor allem muss man mal überlegen, was solche Aufnahmen bewirken können …«, gab ein Aktivist nach dem Spiegel TV-Bericht zu bedenken. »Wenn zum Beispiel von jemandem der Chef die Sendung sieht und auf einmal in einem der Arme schwenkenden Leute seinen Angestellten wiedererkennt, könnte das böse Folgen mit sich bringen.« Die Befürchtung: Arbeitgeber könnten ihren Mitarbeitern aus der Nazi-Szene kündigen. Eine junge Frau aus dem Umfeld der »Kameradschaft Stuttgart«, die sich »Glory Unending« nannte, pflichtete bei: »Fakt ist jedenfalls, dieser Bericht war ein herber Schlag für uns. Jeder, den ich | 21 | kenne, war geschockt, auch ich, wo mich so schnell eigentlich nix umhaut.« Und der Schlagzeuger der Band »Act of Violence«, Christian J., der im Internet als »Papa Schlumpf« unterwegs war, schrieb: »Vor einiger Zeit waren in solchen Berichten oft Hetzmaterial und Videomitschnitte zu sehen, die aber allesamt wirklich ›alte Schinken‹ waren.« Und noch einmal »Glory Unending«, die als »Forums-Walküre« galt: »Die Zeiten, in denen zehn Jahre alte Videoausschnitte kamen, scheinen vorbei zu sein. Und wenn so was jede Woche kommt, dann haben bald einige nicht nur ihren Job los, sondern aufgrund solcher Berichte und dem vorhandenen Videomaterial auch Gerichtsverfahren am
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