Blut muss fließen
Wie seine nachfolgende Grußadresse durchklingen lässt, haben die Skinheads bei der winterlichen Aktion nicht nur an ihren Glatzen gefroren: »Die besten Grüße an die T-Hemd-Fraktion.« T-Hemden sind eingedeutschte T-Shirts, die ein Nazi-Konzert zu einem eiskalten Vergnügen machen, wenn rund 1500 Besucher auf Minikameras durchsucht werden und sich T-Hemden-Träger im Freien anstellen müssen. Die meisten lassen ihre Jacken im Auto, weil sie im Gedränge eh nur stören würden, und eine Garderobe wird bei Nazi-Konzerten nur selten genutzt, sofern es überhaupt eine gibt.
Trotz frostiger Stimmung kamen Alternativvorschläge zu den Durchsuchungen nicht gut an. »Meiner Meinung nach sollten das Publikum und die Bands viel mehr darauf achten, dass sie nichts machen, was ihnen im Falle eines auftauchenden Videos zur Last gelegt werden könnte«, empfahl der Schlagzeuger von »Act Of Violence«. Der Widerspruch kam sogleich von einem Mitglied seiner eigenen Band: »Das kommt mir ja fast so vor, als sollte ich mich vor dem System beugen! Nie! Wenn ich Bock auf das Hakenkreuz-Lied habe, auch wenn es schwachsinnig ist, dann los!«
Statt das eigene Verhalten kritisch zu betrachten, diskutierten die unbeugsamen Szenemitglieder lieber darüber, wie vorsichtig künftig mit Konzertinformationen umgegangen werden sollte. »Glory Unending« betonte: »Ich persönlich handhabe es schon lange so, dass ich Treffpunkte prinzipiell nur an gute Bekannte weitergebe.« Und ein gewisser »Rachmiel LeDueff« nahm sich der Analyse des | 24 | Film-GAUs an: »Da fragt man sich, woher kannte Spiegel TV den Treffpunkt beziehungsweise den Konzertort?«
Das Spiegel TV Magazin kannte den Treffpunkt von mir, und ich kannte ihn von Konzertorganisator Hartwin Kalmus, dessen guter Bekannter ich damals war – unter einem falschen Namen natürlich. Kalmus galt vor dem Verbot des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour in Deutschland als stellvertretender Führer der Sektion Baden. Am 28. September 2003 informierte er mich: »Im Elsass werden ›Noie Werte‹, ›Bagadou Stourm‹, ›Razors Edge‹ und eine Überraschungsband spielen. Treffpunkt gibt es ab Freitag. Schicke ihn dir zu.« An besagtem Freitag meldete er sich mit einer präzisen Wegbeschreibung zum Treffpunkt: »D962, von Zweibrücken nach Bitche. Nach Ortseingang Bitche: Parkplatz (rechte Seite), Logi Marche. 18 bis 20 Uhr.« Seine Handynummer fungierte als Infonummer für das Konzert, bei dem »Noie Werte« eine Live-CD aufzeichnete, wie später offiziell bekanntgegeben wurde. »Allerdings wurde auch der Rest vom Konzert mitgeschnitten«, verriet mir Kalmus auf kameradschaftlicher Basis. Eine Musikanlage, deren Miete ihm zufolge 2000 Euro gekostet hat, sorgte für einen exzellenten Ton – da konnte meine Aufnahmetechnik leider nicht mithalten .
Schmunzeln musste ich, als ich nach der Sendung von Spiegel TV im Internet las, was ein »Foren-Gott« namens »Thombvinyl« forderte: »Diese ›Kameraden‹, die für Euros die Presse informieren, sollte man hart bestrafen.« Was für ein Quatsch! Kalmus hatte nicht einen Cent von mir bekommen. Unter guten Kameraden gehört es sich schließlich nicht, Geld für einen Konzerthinweis zu verlangen.
Das Konzert interessierte Spiegel TV schon im Vorfeld. Aus Sicherheitsgründen beschloss die Redaktionsleitung jedoch, von einem Dreh abzusehen. Zwei Monate zuvor war ein Kameramann beim sogenannten Pressefest des NPD-Zentralorgans Deutsche Stimme krankenhausreif geschlagen worden. Das Risiko eines verdeckten Einsatzes in Frankreich war unkalkulierbar groß – es drohte Lebensgefahr.
Die Chance auf ein erstes Fernsehprojekt bewog mich dazu, auf eigene Faust zu drehen – ohne einen Auftrag von Spiegel TV . Es war aber klar, dass die Redaktion das Material kaufen würde, falls ich | 25 | erfolgreich sein sollte. Also brauchte ich zuerst einmal eine geeignete Ausrüstung. Über zwei Kollegen bekam ich Kontakt zu einem renommierten Kriegsberichterstatter der ARD, der »versteckte Kameras« vermietete – Toptechnik aus Israel und den USA. Das war fünf Tage vor dem Konzert. Als ich ihm mein Vorhaben schilderte, war er derart begeistert, dass er mir anbot, eine Kamera zu verkaufen. Diese Chance habe ich genutzt. Noch am selben Abend fuhr ich durch halb Deutschland, um das Gerät zu holen. Zwei Tage später kam das Aufnahmegerät, ein Festplattenrekorder, aus Frankreich.
Beim Techniktest am Tag der Deutschen Einheit musste ich allerdings
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