Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Es war ihre Persönlichkeit. Sie war sexy, aber ihr Sex-Appeal war irgendwie pflanzenartig – blinder Sex, nicht zu unterdrückender Sex, der nicht so wichtig ist, weil er so instinktiv ist wie die Photosynthese. Nicht wie ein Tier, sondern wie eine Pflanze. Verstehen Sie, was ich meine? Ich wusste, dass wir miteinander schlafen würden, wie Männer und Frauen es tun, aber ich wusste auch, dass unsere Vereinigung so beiläufig und distanziert und bedeutungslos sein würde, wie sich Efeu in der Augustsonne an einem Gitter emporrankt.
    Der Sex war nur wichtig, weil er unwichtig war.
    Ich glaube – nein, ich bin mir sicher –, dass Gewalttätigkeit die eigentliche Triebkraft war. Die Gewalttätigkeit war real und nicht nur ein Traum. Sie war so groß und schnell und hart wie Ace Merrills 1952er Ford. Die Gewalttätigkeit in Joe’s Gutes Essen, die Gewalttätigkeit gegenüber Norman Blanchette. Und doch hatte selbst das etwas Blindes und Pflanzenartiges an sich. Vielleicht war sie nur eine Weinranke, denn auch die Venusfliegenfalle gehörte zur Gattung Wein, aber diese Pflanze war fleischfressend und machte Bewegungen wie ein Tier, wenn eine Fliege oder ein Stück rohes Fleisch auf ihre Blätter gelegt wurde. Und alles war Wirklichkeit. Der rankende Wein mag nur träumen, dass er Geschlechtsverkehr hat, aber ich bin mir sicher, dass die Venusfliegenfalle Geschmack an ihrer Fliege findet, dass sie deren erlahmende Gegenwehr genießt, während sie sie mit dem Maul umklammert.
    Und zuletzt meine eigene Passivität. Ich konnte die Leere in meinem Leben nicht füllen. Nicht die Lücke, die das Mädchen hinterlassen hatte, als sie mich sitzenließ – ich möchte ihr nicht die Verantwortung zuschieben –, sondern das Loch, das schon immer vorhanden gewesen war, der dunkle, verworrene Strudel, der in meinem tiefsten Innern nie zur Ruhe kam. Nona füllte dieses Loch. Sie brachte mich zum Handeln.
    Sie machte mich edel.
    Vielleicht verstehen Sie es jetzt ein wenig. Warum ich von ihr träume. Warum die Faszination trotz Reue und Ekel nicht vergeht. Warum ich sie hasse. Warum ich Angst vor ihr habe. Und warum ich sie auch jetzt immer noch liebe.
    Von der Ausfahrt Augusta bis Gardiner waren es nur acht Meilen, die wir in wenigen Minuten zurücklegten. Ich hielt die Nagelfeile hölzern an der Seite und studierte das grüne Leuchtschild – AUSFAHRT RECHTS FAHREN  –, das aus der Nacht auftauchte. Der Mond war verschwunden, es hatte zu schneien angefangen.
    »Ich wünschte, ich würde weiterfahren«, sagte Blanchette.
    »Schon gut«, sagte Nona warm, und ich spürte, wie ihr Zorn summend und dröhnend in meinen Schädel eindrang wie ein Schlagbohrer. »Lassen Sie uns einfach am Ende der Rampe raus.«
    Er fuhr raus und hielt sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung von dreißig Meilen. Ich wusste, was ich machen würde. Meine Beine schienen sich in warmes Blei verwandelt zu haben.
    Das Ende der Rampe wurde von einer Straßenlaterne beleuchtet. Links konnte ich die Lichter von Gardiner vor den zuziehenden Wolken sehen. Rechts nur Schwärze. Auf der Zufahrtstraße herrschte in beiden Fahrtrichtungen kein Verkehr.
    Ich stieg aus. Nona rutschte über den Sitz und lächelte Norman Blanchette noch einmal zu. Ich machte mir keine Sorgen. Sie spielte mit.
    Blanchette lächelte ein unvorstellbar schweinisches Lächeln, so erleichtert war er, uns loszuwerden. »Also dann, gute Nacht …«
    »Oh, meine Handtasche! Fahren Sie nicht mit meiner Handtasche weg!«
    »Ich hol sie«, sagte ich ihr. Ich beugte mich wieder in das Auto. Blanchette sah, was ich in der Hand hatte, und sein schweinisches Lächeln gefror.
    Jetzt tauchten Scheinwerfer auf dem Hügel auf, aber es war zu spät aufzuhören. Nichts hätte mich abhalten können. Ich griff mit der linken Hand nach Nonas Tasche. Mit der rechten stieß ich die Nagelfeile aus Stahl in Blanchettes Hals. Er blökte einmal.
    Ich kroch aus dem Wagen. Nona winkte dem herankommenden Fahrzeug. Wegen Dunkelheit und Schnee konnte ich nicht erkennen, was es war; ich sah nur die beiden hellen Kreise der Scheinwerfer. Ich duckte mich hinter Blanchettes Auto und spähte durch die Heckscheiben.
    Die Stimmen gingen im Heulen des Windes fast unter.
    »… Schwierigkeiten, Lady?«
    »… Vater … Wind … hatte einen Herzschlag! Könnten Sie …«
    Ich schlich um den Kofferraum von Blanchettes Impala und beugte mich vor. Jetzt konnte ich sie sehen. Nonas schlanke Silhouette und eine größere Gestalt.

Weitere Kostenlose Bücher