Blut - Skeleton Crew
anderen Ärzten zusammen. Mir wurden Patienten geschickt, und ich schickte Patienten. Ich operierte und verschrieb die korrekten postoperativen Medikamente. Nicht jede Operation wäre erforderlich gewesen, aber ich operierte zumindest nie gegen den Willen eines Patienten. Und kein einziges Mal las ein Patient, was ich auf das Rezept geschrieben hatte, und sagte: »Das will ich nicht.« Hören Sie: Die lassen sich 1965 die Gebärmutter rausnehmen oder werden 1970 an der Schilddrüse operiert und schlucken noch fünf oder zehn Jahre später schmerzstillende Mittel, wenn man sie lässt. Und manchmal ließ ich sie eben. Ich war nicht der Einzige, das können Sie mir glauben. Sie konnten sich die Angewohnheit leisten. Manchmal hatte ein Patient nach einem geringfügigen chirurgischen Eingriff Schlafstörungen. Oder er kam nicht an Appetitzügler ran. Oder an Librium. Alles konnte arrangiert werden. Ha! Ja! Wenn sie es nicht von mir bekommen hätten, dann von einem anderen.
Dann kamen die Steuerfahnder zu Löwenthal. Dieser Esel. Sie drohten ihm mit fünf Jahren, und er spuckte ein halbes Dutzend Namen aus. Einer davon war meiner. Sie überwachten mich eine Zeit lang, und als die Falle zuschnappte, blühten mir mehr als fünf Jahre. Es gab da noch ein paar andere Sachen, wie z.B. das Ausstellen von Blankorezepten, das ich nicht ganz aufgegeben hatte. Eigentlich komisch, ich war nicht mehr darauf angewiesen. Es war mir einfach zur Gewohnheit geworden. Es fällt schwer, auf extra Zaster zu verzichten.
Nun ja, ich hatte gute Kontakte. Ich zog ein paar Fäden. Außerdem warf ich ein paar Leute den Wölfen zum Fraß vor. Allerdings keinen, den ich mochte. Alle, die ich an die Feds verpfiff, waren echte Schweine.
Herrgott, bin ich hungrig.
30. Januar
Heute keine Möwen. Das erinnert mich an die Schilder, die man manchmal an Obstkarren bei mir zu Hause sah. HEUTE KEINE TOMATEN. Ich watete bis zum Bauch ins Wasser, das scharfe Messer in der Hand. Vier Stunden lang blieb ich bewegungslos an derselben Stelle stehen und ließ die Sonne auf mich herunterbrennen. Zweimal war ich kurz davor umzukippen, aber ich zählte rückwärts, bis es vorbeiging. Ich sah nicht einen Fisch. Nicht einen.
31. Januar
Ich habe wieder eine Möwe getötet, genau wie die erste. Weil ich so hungrig war, habe ich sie nicht gefoltert, wie ich mir geschworen hatte. Ich nahm sie aus und aß sie. Drückte die Kutteln aus und aß die auch. Eigenartig, wie man spüren kann, dass die Vitalität zurückkommt. Kurze Zeit bekam ich Angst. Ich lag im Schatten des großen zentralen Felshaufens und glaubte Stimmen zu hören. Mein Vater. Meine Mutter. Meine Ex-Frau. Und am schlimmsten, der große Chinese, der mir in Saigon das Heroin verkauft hatte. Er lispelte, vermutlich ein partieller Wolfsrachen.
»Na mach fon«, kam seine Stimme aus dem Nichts. »Na mach fon und snupf ein bisschen. Dann merkft du nicht mehr, wie hungrig du bift. Ef ift wunderfön …« Aber ich hatte nie Drogen genommen, nicht einmal Schlaftabletten.
Habe ich schon gesagt, dass Löwenthal sich umbrachte? Der Esel. Er erhängte sich in seinem ehemaligen Büro. Meiner Meinung nach hat er der Welt damit einen Gefallen getan.
Ich wollte meine Praxis wieder. Einige Leute, mit denen ich darüber redete, meinten, das ließe sich machen, würde aber eine Stange Geld kosten. Mehr Schmiergeld als ich mir je hätte träumen lassen. Ich hatte 40 000 Dollar in einem Banksafe. Ich beschloss, es auf einen Versuch ankommen und es arbeiten zu lassen. Verdoppeln oder verdreifachen.
Also besuchte ich Ronnie Hanelli. Ronnie und ich spielten zusammen Football am College, und als sein jüngerer Bruder Internist werden wollte, verhalf ich ihm zu einer Stelle im Krankenhaus. Ronnie selbst studierte Jura, ist das nicht ein Knüller? In der Straße, wo wir aufwuchsen, nannten wir ihn Ronnie den Vollstrecker, weil er sich bei allen Hockeyspielen als Schiedsrichter aufspielte. Wenn man seine Befehle nicht mochte, hatte man die Wahl – entweder den Mund zu halten oder einen in die Fresse zu kriegen. Die Puerto-Ricaner nannten ihn Itakeronnie. Genau so, in einem Wort, Itakeronnie. Ich zog ihn damit auf. Und dieser Knabe ging aufs College, studierte Jura, bestand beim ersten Anlauf das Examen und eröffnete dann in unserer alten Gegend, direkt über der Fish-Bowl-Bar, eine Kanzlei. Wenn ich die Augen zumache, kann ich ihn deutlich vor mir sehen, wie er in seinem weißen Continental die Straßen entlangfährt.
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