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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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stolperte herum und schrie: »HELFT MIR! ICH SEHE NICHTS. HELFT MIR! ICH SEHE NICHTS.«
    Heillose Panik war ausgebrochen; sie war wie eine ansteckende Krankheit von den Passagieren auf die Mannschaft übertragen worden. Sie müssen bedenken, dass zwischen der erste Explosion und dem endgültigen Sinken der Callas nur zwanzig Minuten lagen. Einige Rettungsboote waren von schreienden Passagieren belagert, während bei anderen keine Menschenseele war. Meins, das sich auf der tiefer liegenden Schiffsseite befand, blieb fast unbeachtet. Niemand war zu sehen, außer mir und einem Matrosen mit bleichem, pickeligem Gesicht.
    »Lassen wir diese dickbäuchige Hure zu Wasser«, sagte er mit irre in den Höhlen rollenden Augen. »Dieser gottverfluchte Kahn wird gleich absaufen.«
    Ein Rettungsboot ist eigentlich leicht abzuseilen, aber in seiner hektischen Nervosität verhedderte er sich auf seiner Seite des Flaschenzugs. Das Boot sackte knapp zwei Meter ab und blieb dann hängen, der Bug einen halben Meter tiefer als das Heck.
    Ich wollte zu ihm hinübergehen und ihm helfen, als er zu schreien anfing. Er hatte es zwar geschafft, das Seil zu entwirren, war aber gleichzeitig mit der Hand hineingeraten. Das vorbeizischende Seil brannte über seine Handfläche, rasierte ihm die Haut ab und riss ihn über die Reling.
    Ich warf die Strickleiter über Bord, kletterte schnell hinunter und machte das Rettungsboot von den Verankerungen los. Dann begann ich zu rudern, was ich bei meinen Ausflügen zu den Sommerhäusern meiner Freunde schon gelegentlich zum Vergnügen getan hatte, aber jetzt ruderte ich um mein Leben. Ich wusste, wenn ich nicht weit genug von der sterbenden Callas wegkam, bevor sie sank, würde sie mich mit sich in die Tiefe ziehen.
    Nur fünf Minuten später sank sie dann. Ich war noch nicht ganz aus dem Sog raus und musste wie ein Weltmeister rudern, um wenigstens an der gleichen Stelle zu bleiben. Sie sank sehr rasch. Noch immer klammerten sich kreischende Menschen an die Bugreling. Sie sahen wie eine Affenhorde aus.
    Der Sturm wurde schlimmer. Ich verlor ein Ruder, konnte das andere jedoch retten. Die ganze Nacht verging für mich wie im Traum; zuerst schöpfte ich ständig Wasser, dann paddelte ich wild mit dem Ruder, um den nächsten Brecher Bug voran zu erwischen.
    Kurz vor Tagesanbruch des vierundzwanzigsten wurden die Wellen hinter mir allmählich stärker. Das Boot schoss vorwärts. Es war furchteinflößend, aber gleichzeitig aufregend. Plötzlich wurden die meisten Planken unter meinen Füßen weggerissen, aber bevor das Rettungsboot sinken konnte, strandete es auf diesem gottverlassenen Felshaufen. Ich weiß nicht einmal, wo ich bin, keinen blassen Schimmer habe ich. Navigation war nie meine starke Seite, ha-ha.
    Aber ich weiß, was ich tun muss. Vielleicht ist dies meine letzte Eintragung, aber irgendwie glaube ich, dass ich es schaffe. Habe ich es nicht immer geschafft? Und heutzutage können sie wirklich einmalige Sachen mit Prothesen machen. Ich kann auch mit einem Fuß gut zurechtkommen.
    Es wird Zeit herauszufinden, ob ich so gut bin, wie ich glaube. Viel Glück.
     
    5. Februar
    Hab’s getan.
    Die Schmerzen haben mir am meisten Sorgen gemacht. Ich bin nicht wehleidig, hatte aber Angst, dass ich in meinem geschwächten Zustand vor Hunger und Schmerzen bewusstlos werden könnte, bevor die Operation beendet wäre.
    Aber das Heroin hat dieses Problem blendend gelöst.
    Ich öffnete ein Päckchen und schnupfte zwei kräftige Prisen von der Oberfläche eines flachen Felsens – zuerst mit dem rechten Nasenloch, dann mit dem linken. Es war als hätte ich ein wunderbar betäubendes Eis eingeatmet, das sich von unten her in meinem Gehirn ausbreitete. Ich schnupfte das Heroin, sobald ich gestern mit dem Schreiben fertig war – das war um 9.45 Uhr. Als ich das nächste Mal auf meine Uhr sah, waren die Schatten gewandert, sodass ich teilweise in der Sonne lag, und es war 12.41 Uhr. Ich war eingenickt. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es so schön ist, und ich kann nicht verstehen, warum ich es früher so verächtlich abgetan habe. Schmerzen, Furcht, Elend … alles vergeht, zurück bleibt nur ein ruhiges Wohlgefühl.
    In diesem Zustand operierte ich.
    Trotzdem hatte ich ziemliche Schmerzen, vor allem zu Beginn der Operation. Aber die Schmerzen schienen von mir losgelöst zu sein, wie die Schmerzen eines anderen. Das machte mir zu schaffen, war aber auch irgendwie interessant. Können Sie das verstehen?

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