Blut - Skeleton Crew
Frage, wie viel Schock-Trauma kann ein Patient ertragen. Und dann schlug er mit dem Zeigestock auf die Schautafel des menschlichen Körpers, auf Leber, Nieren, Herz, Milz, Eingeweide. Im Grunde, meine Herren, pflegte er dann zu sagen, besteht die Antwort immer aus einer neuen Frage: Wie stark ist der Überlebenswille des Patienten?
Ich glaube, ich kann es durchziehen. Ehrlich.
Vermutlich schreibe ich nur, um das Unvermeidliche hinauszuzögern, aber mir fiel ein, dass ich die Geschichte noch nicht zu Ende erzählt habe, wie ich eigentlich hierhergelangt bin. Vielleicht sollte ich das noch erklären, falls die Operation schiefgeht. Es kostet mich nur ein paar Minuten, und um ausreichendes Tageslicht für die Operation brauche ich mir keine Sorgen zu machen, denn auf meiner Pulsar ist es erst neun Minuten nach neun Uhr morgens. Ha!
Ich flog als Tourist nach Saigon. Klingt das merkwürdig? Sollte es eigentlich nicht. Es gibt immer noch Tausende, die trotz Nixons Krieg jedes Jahr dorthin reisen. Schließlich gibt es auch Leute, die gern Karambolagerennen und Hahnenkämpfe sehen.
Mein chinesischer Freund hatte die Ware. Ich brachte sie zu Ngo, der sie als erstklassig einstufte. Ngo erzählte mir, dass sich Li-Tsu vier Monate zuvor wieder einen Spaß erlaubt hatte, worauf seine Frau in die Luft flog, als sie den Zündschlüssel ihres Opels umdrehte. Seither hat es keine neuen Späße gegeben.
Ich blieb drei Wochen in Saigon, die Rückfahrt hatte ich auf dem Luxusdampfer Callas gebucht. Erste Klasse. Es war kein Problem mit dem Stoff an Bord zu gehen. Ngo bestach zwei Zollbeamte, dass sie mich einfach durchwinkten, nachdem sie meine Koffer durchsucht hatten. Die Ware befand sich in einer PAN-AM-Umhängetasche, die sie keines Blickes würdigten.
»Es wird viel schwieriger, durch den amerikanischen Zolle zu kommen«, sagte mir Ngo. »Aber das ist Ihr Problem.«
Ich hatte nicht die Absicht, die Ware durch den amerikanischen Zoll zu bringen. Ronnie Hanelli hatte einen Taucher angeheuert, der für 3000 Dollar eine knifflige Aufgabe erledigen sollte. Ich war mit ihm (vor zwei Tagen, fällt mir dabei ein) in einer Absteige namens St. Regis Hotel in San Francisco verabredet. Der Plan sah vor, den Stoff in einem wasserdichten Behälter zu verpacken. Auf der Oberseite waren eine Schaltuhr und ein Päckchen rote Farbe angebracht. Kurz bevor wir vor Anker gingen, sollte der Behälter über Bord geworfen werden – aber natürlich nicht von mir.
Ich suchte immer noch nach einem Koch oder Steward, der eine kleine Gehaltsaufbesserung brauchen konnte und schlau genug – oder dumm genug – war, später den Mund zu halten, als die Callas sank.
Ich weiß nicht, wie oder warum. Es war stürmisch, aber das Schiff schien gut damit zurechtzukommen. Gegen acht Uhr am Abend des dreiundzwanzigsten kam es irgendwo unter Deck zu einer Explosion. Ich war gerade im Salon, und die Callas begann sich fast unmittelbar darauf zu neigen. Nach links … nennen sie das nun Backbord oder Steuerbord?
Passagiere kreischten und rannten in alle Richtungen. Flaschen fielen vom Regal hinter der Bar und zerschellten auf dem Boden. Ein Mann kam mit verbranntem Hemd von einem unteren Deck heraufgetaumelt. Aus dem Lautsprecher kam die Anordnung, dass jeder zu dem Rettungsboot laufen sollte, das ihm bei der Übung zu Beginn der Kreuzfahrt zugeteilt worden war. Die Passagiere liefen weiter kopflos hin und her. Die wenigsten waren zu dieser Übung erschienen. Ich war nicht nur erschienen, ich war früher gekommen, – ich wollte in der ersten Reihe sitzen, wissen Sie, damit ich alles ungehindert sehen konnte. Ich passe immer genau auf, wenn es um meine eigene Haut geht. Ich stieg zu meiner Einzelkabine hinunter, holte die Heroinbeutel und steckte sie in die Jackentaschen. Dann machte ich mich auf den Weg zum Rettungsboot 8. Während ich die Treppe zum Hauptdeck hinaufstieg, erfolgten zwei weitere Explosionen, und das Schiff bekam noch mehr Schlagseite.
An Deck herrschte totales Chaos. Ich sah eine schreiende Frau mit einem Baby im Arm an mir vorbeilaufen und immer mehr beschleunigen, während sie über das rutschige, schräge Deck sprintete. Sie stieß mit den Hüften an die Reling und verschwand. Ich sah sie zwei ganze Saltos und einen dritten halb schlagen, ehe ich sie aus den Augen verlor. Ein Mann in mittleren Jahren saß im Shuffleboard-Feld und raufte sich die Haare. Ein weißgekleideter Koch, dessen Gesicht und Hände schrecklich verbrannt waren,
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