Blut - Skeleton Crew
des Felshaufens runter. Stammelnd und lachend, gleichgültig, ob ich mir den Stumpf anschlug oder die Wunde aufwetzte, kroch ich über den höchsten Felsen zur anderen Seite. Ich verlor das Gleichgewicht und stieß mir den Kopf an. Ich merkte es nicht einmal, zu dem Zeitpunkt jedenfalls nicht, obwohl eine ziemliche Beule entstanden ist. Ich konnte nur an die Möwe denken, und wie ich sie getroffen hatte, fantastisches Glück, sogar beim Wegfliegen hatte ich sie getroffen!
Sie taumelte auf der anderen Seite Richtung Strand hinunter, mit gebrochenem Flügel und blutverschmiertem Bauch. Ich krabbelte so schnell ich konnte, aber sie krabbelte noch schneller. Wettrennen der Krüppel! Ha! Ha! Ich hätte sie vielleicht erwischt – ich holte schon auf –, wenn nicht meine Hände gewesen wären. Ich muss gut auf meine Hände aufpassen. Vielleicht brauche ich sie noch. Trotz meiner Vorsicht waren die Handflächen zerschunden, als wir den schmalen Streifen des Strands erreichten, und unterwegs hatte ich das Glas meiner Pulsar-Armbanduhr an einem harten Felsen zerbrochen.
Die Möwe ließ sich ins Wasser gleiten und gab ein schauerliches Krächzen von sich, als ich nach ihr griff. Ich bekam eine Handvoll Schwanzfedern zu fassen, mehr aber auch nicht. Dann fiel ich ins Wasser, bekam den Mund voll, prustete und schnaubte.
Ich kroch weiter rein. Ich versuchte sogar, hinter ihr herzuschwimmen. Der Verband löste sich von meinem Stumpf. Ich begann unterzugehen. Mühsam schaffte ich es, an Land zurückzukommen, zitternd vor Erschöpfung, blind vor Schmerzen, schluchzend und wimmernd verfluchte ich die Möwe. Sie war noch eine lange Zeit zu sehen, immer weiter und weiter draußen. Ich glaube, ich habe sie einmal sogar angefleht zurückzukommen. Ich glaube, als sie schließlich hinter dem Riff verschwand, war sie schon tot.
Es ist nicht gerecht.
Ich brauchte fast eine Stunde, um zu meinem Lager zurückzukriechen. Ich schnupfte eine ordentliche Dosis Heroin, aber trotzdem bin ich noch irre wütend auf die Möwe. Wenn ich sie schon nicht bekommen sollte, warum musste sie mich so quälen? Warum ist sie nicht einfach davongeflogen?
9. Februar
Ich habe meinen linken Fuß amputiert und mit meiner Hose bandagiert. Während der ganzen Operation habe ich gesabbert. Gesaaaaabert. Wie gestern, als ich die Möwe sah. Hilflos gesabbert. Aber ich habe mich gezwungen zu warten, bis es dunkel war. Ich zählte einfach von hundert rückwärts … zwanzig oder dreißigmal! Ha! Ha!
Dann …
Ich hab mir immer wieder gesagt: Kaltes Roastbeef. Kaltes Roastbeef. Kaltes Roastbeef.
11. Februar(?)
Die beiden letzten Tage hat es geregnet. Und gestürmt. Es ist mir gelungen, einige Felsblöcke von dem großen Haufen zu verrücken, bis ein Loch entstand, in das ich kriechen konnte. Fand eine kleine Spinne. Habe sie zwischen den Fingern zerdrückt, bevor sie mir entwischen konnte, und sie gegessen. Sehr gut. Saftig. Habe mir gedacht, dass die Felsen über mir zusammenbrechen und mich lebendig begraben könnten. Mir egal.
Während des Sturms war ich die ganze Zeit stoned. Vielleicht hat es nicht nur zwei, sondern drei Tage geregnet. Oder nur einen. Aber ich glaube, dass es zweimal dunkel wurde. Ich schlafe gern ein. Keine Schmerzen und kein Jucken. Ich weiß, dass ich dies alles überleben werde. Es ist unmöglich, dass man so was für nichts und wieder nichts durchmacht.
Als ich ein Junge war, diente in unserer Kirche Holy Family ein Priester, ein lächerlicher kleiner Kerl, der besonders gern über Hölle und Todsünden redete. Es war ein richtiges Hobby. Eine Todsünde kann man nicht wiedergutmachen, das war seine Ansicht. Letzte Nacht habe ich von ihm geträumt. Pater Hailey mit seinem schwarzen Morgenmantel und der roten Schnapsnase, wie er mit seinem Finger auf mich deutet und sagt: »Schande über dich, Richard Pinzetti … eine Todsünde … zur Hölle verdammt, Junge … zur Hölle verdammt …«
Ich habe ihn ausgelacht. Wenn diese Insel nicht die Hölle ist, was dann? Und die einzige Todsünde ist es aufzugeben.
Die Hälfte der Zeit bin ich im Delirium, den Rest jucken meine Stümpfe grässlich, und die Feuchtigkeit lässt sie höllisch schmerzen.
Aber ich gebe nicht auf. Das schwöre ich. Nicht für nichts. Nicht all das für nichts!
12. Februar
Die Sonne scheint wieder, ein herrlicher Tag. Hoffentlich frieren sie sich bei mir zu Hause die Ärsche ab.
Es war ein guter Tag für mich, so gut, wie ein Tag auf dieser
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