Blut - Skeleton Crew
auf dem Weg dorthin den Laster auf der Wiese mit den White Mountains im Hintergrund. Er war nicht mehr aufgebockt – Onkel Otto sagte, ein Unfall wäre genug –, aber der bloße Gedanke an das, was passiert war, reichte aus, dass es einem kleinen Jungen in kurzen Hosen eiskalt den Rücken hinunterlief.
Er war da im Sommer; im Herbst, wenn Eichen und Ulmen an den drei Wiesenrainen wie Fackeln leuchteten; im Winter, wenn Schneeverwehungen manchmal bis über die Scheinwerfer reichten, die wie Insektenaugen aussahen, sodass er den Eindruck eines gegen weißen Treibsand kämpfenden Mastodons erweckte; und im Frühling, wenn die aufgeweichte Märzwiese ein Morast war und man sich wunderte, dass er nicht einfach in der Erde versank. Das hätte auch leicht passieren können, wenn er nicht Halt auf dem guten Felsgestein von Maine darunter gehabt hätte. In allen Jahreszeiten und Jahren war er da.
Einmal war ich sogar drinnen. Mein Vater fuhr eines Tages an die Straßenseite, als wir unterwegs zum Jahrmarkt in Fryeburg waren, nahm mich an der Hand und führte mich auf die Wiese. Ich glaube, es muss 1960 oder 1961 gewesen sein. Der Lastwagen machte mir Angst. Ich kannte die Geschichten, wie er unbemerkt nach vorn gerutscht war wie ein verschlagenes, aber gefährliches Tier und den Partner meines Onkels zerquetscht hatte. Ich hatte diese Geschichten beim Friseur gehört, während ich mucksmäuschenstill hinter einem Life -Magazin saß, das ich nicht lesen konnte, und den Männern zuhörte, als sie darüber sprachen, wie er zerquetscht worden war, und dass er hoffentlich seinen Spaß an den zwanzig Dollar für die Räder gehabt hätte. Einer von ihnen – es könnte Billy Dodd gewesen sein, der Vater des irren Frank – meinte, dass McCutcheon ausgesehen hätte wie »ein Kürbis, der von einem Traktorreifen zu Brei zermanscht worden ist«. Das spukte monatelang in meinem Kopf herum … aber mein Vater hatte natürlich keine Ahnung davon.
Mein Vater dachte nur, es würde mir vielleicht Spaß machen, im Fahrerhaus des alten Lastwagens zu sitzen; er hatte gesehen, wie ich ihn jedes Mal ansah, wenn wir vorbeifuhren, und hatte, glaube ich, meine Angst fälschlicherweise für Bewunderung gehalten.
Ich erinnere mich an die Goldruten, deren leuchtendes Gelb von der Oktoberkälte gedämpft wurde. Ich erinnere mich an den faden Geschmack der Luft, ein bisschen bitter, ein bisschen scharf. Ich erinnere mich an die Silberfarbe des abgestorbenen Grases und an das Schtscht unserer Schritte. Doch am besten erinnere ich mich an den drohend aufragenden Lastwagen, der mit jedem Schritt größer wurde – an das boshafte Zähnefletschen des Kühlergrills, die blutrote Farbe und den starren Blick der verschmierten Windschutzscheibe. Ich erinnere mich, wie eine Welle von Angst, die kälter und beklemmender war als die Stimmung in der Luft, über mir zusammenschlug, als mein Vater mir unter die Achselhöhlen griff, mich zum Fahrerhaus hochhob und sagte: »Fahr ihn nach Portland, Quentin … Los!« Ich erinnere mich, wie die Luft an meinem Gesicht vorbeistrich, als es immer höher hinaufging, und der frische Geschmack dem Geruch von altem Diamond-Gem-Öl, rissig gewordenem Leder, Mäusedreck und – ich schwöre es – Blut wich. Ich erinnere mich, wie ich versuchte, nicht zu weinen, während mein Vater zu mir hinaufgrinste und überzeugt war, dass er mir ein tolles Abenteuer bot (es war auch eins, nur nicht so, wie er es sich vorstellte). Mir wurde mit absoluter Sicherheit klar, dass er weggehen oder mir zumindest den Rücken zudrehen und der Lastwagen mich dann verschlingen würde – bei lebendigem Leib verschlingen. Und was er ausspucken würde, würde wie zerkaut und zerfetzt und … wie zerplatzt aussehen. Wie ein Kürbis, der von einem Traktorreifen zu Brei zermanscht worden ist.
Ich fing an zu weinen und mein Vater, der eine Seele von Mensch war, nahm mich herunter, beruhigte mich und trug mich zum Wagen zurück. Er hielt mich an seine Brust gedrückt, und über seine Schulter beobachtete ich den Lastwagen, der auf der Wiese zurückblieb – blutrot, mit seinem riesigen, bedrohlich aufragenden Kühler und mit dem schwarzen, runden Loch, in das die Kurbel gehörte, und das wie eine Augenhöhle aussah, die auf grausige Weise an die falsche Stelle geraten war. Ich wollte ihm erzählen, dass ich Blut gerochen und deswegen geweint hatte. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich das anstellen sollte. Ich denke, er hätte mir ohnehin
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