Blut - Skeleton Crew
nicht geglaubt.
Als Fünfjähriger, der noch an den Weihnachtsmann, den Osterhasen und den schwarzen Mann glaubte, glaubte ich auch, dass mir der Lastwagen mit Absicht den bösen Schrecken eingejagt hatte, als mich mein Vater ins Fahrerhaus hochgehoben hatte. Ich brauchte zwanzig Jahre, um herauszufinden, dass es nicht der Cresswell gewesen war, der George McCutcheon umgebracht hatte; mein Onkel Otto hatte das getan.
Der Cresswell war ein Markstein in meinem Leben, aber er gehörte auch zum Bewusstsein der ganzen Gegend. Wenn man jemand den Weg von Bridgton nach Castle Rock erklärte, sagte man ihm, dass er auf der richtigen Straße war, wenn er auf der linken Seite einen großen, alten, roten Laster sah, der abseits auf einer Heuwiese ungefähr drei Meilen nach der Abzweigung von der 11 steht. Oft konnte man Touristen sehen, die auf der weichen Böschung parkten (und manchmal dort steckenblieben, was immer für Gelächter sorgte), um die White Mountains zu fotografieren, wobei Onkel Ottos Lastwagen den Vordergrund für die malerische Perspektive abgab – lange Zeit nannte mein Vater den Cresswell »Trinity Hill Touristen-Lastwagengedenkstätte«, aber nach einer Weile ließ er es bleiben. Inzwischen war Onkel Otto nämlich so besessen von dem Lastwagen, dass es nicht mehr komisch war.
So viel zum Ursprung. Nun zum Geheimnis.
Dass er McCutcheon umgebracht hat, ist das Einzige, dessen ich mir wirklich sicher bin. »Zermanschte ihn wie einen Kürbis zu Brei«, sagten die Feierabendphilosophen im Friseursalon. Einer von ihnen fügte hinzu: »Ich wette, der kniete da vor dem Laster und betete zu Arlah wie ein schmieriger Ar-raber. Kann ich mir richtig gut vorstellen. Die hatten einen Sprung in der Schüssel, alle beide. Seht euch doch an, wo Otto Schenck landete, wenn ihr mir nicht glaubt. Genau auf der anderen Straßenseite in dieser Hütte und glaubte glatt, die Stadt würde sie als Schule nehmen, so verrückt wie eine Scheißhausratte.«
Das wurde mit Kopfnicken und vielsagenden Blicken aufgenommen, denn da waren sie schon überzeugt, dass Onkel Otto verschroben war – oh, jawoll! –, aber keiner der Feierabendphilosophen aus dem Friseursalon kam auf den Gedanken, dass diese Vorstellung – McCutcheon, der »wie ein schmieriger Ar-raber« direkt vor dem Laster mit seinen verrotteten Blöcken kniete – genauso abwegig wie übertrieben war.
Tratsch ist immer ein heißes Thema in einer Kleinstadt; Leute werden auf Grund von völlig fadenscheinigen Beweisen und wildesten Spekulationen als Diebe, Ehebrecher, Wilderer und Betrüger gebrandmarkt. Häufig, glaube ich, wird Tratsch aus reiner Langeweile in Umlauf gebracht. Ich glaube, dass er nur deshalb nicht ganz und gar bösartig wird – wie Romanciers von Nathaniel Hawthorne bis Grace Metalious Kleinstädte beschrieben haben –, weil der landläufige Tratsch in Lebensmittelgeschäften und Friseursalons meistens merkwürdig naiv ist – man könnte meinen, dass diese Leute Gemeinheit und Liederlichkeit erwarten, ja, sie sogar erfinden, wenn es sie nicht gibt, aber dass das wirkliche und bewusste Böse ihre Vorstellungskraft übersteigt, selbst wenn es genau vor ihren Augen schwebt wie ein böser Zauberteppich aus einem Märchen von diesen schmierigen Ar-rabern.
Woher ich es weiß? Nur weil er an jenem Tag mit McCutcheon zusammen war? Nein. Wegen dem Lastwagen Cresswell. Als die Besessenheit Onkel Otto allmählich völlig beherrschte, kam er auf die Idee, direkt gegenüber in dem winzigen Haus zu wohnen … obwohl er in seinen letzten Lebensjahren eine Todesangst vor dem Lastwagen hatte, der auf der anderen Straßenseite gestrandet war.
Ich glaube, McCutcheon ging mit Onkel Otto auf die Wiese, wo der Cresswell aufgebockt war, weil Onkel Otto ihn dazu brachte, über seine Hauspläne zu sprechen. McCutcheon war immer erpicht, über sein Haus und seinen künftigen Ruhestand zu reden. Die beiden Geschäftspartner hatten ein gutes Angebot von einer viel größeren Gesellschaft erhalten – ich werde keinen Namen nennen, aber wenn, würden Sie ihn kennen –, und McCutcheon wollte es annehmen. Onkel Otto nicht. Sie hatten sich seit dem Frühling im stillen über das Angebot gestritten. Ich nehme an, dass diese Meinungsverschiedenheit der Hauptgrund war, warum sich Onkel Otto entschloss, seinen Partner loszuwerden.
Ich glaube, mein Onkel muss zwei Vorbereitungen für den Zeitpunkt getroffen haben: Als Erstes untergrub er die Blöcke, auf denen der
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