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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nahm, ob er es nötig hatte oder nicht – »gerade er, ein reicher Mann«, fügte sie stets hinzu und rümpfte die Nase. Ich glaube, sein Geruch war ihr wirklich zuwider, aber ich glaube auch, dass sie Angst vor ihm hatte. 1965 war Onkel Ottos Aussehen genauso verdammt verschroben geworden wie sein Verhalten. Er trug grüne Arbeitshosen mit Hosenträgern, ein warmes Unterhemd und große, gelbe Arbeitsschuhe. Und seine Augen drehten sich beim Reden in seltsame Richtungen.
    »Hm?«
    »Was wirst du jetzt mit dem Haus machen?«
    »In dem Scheißkasten wohnen«, schnappte Onkel Otto, und genau das tat er dann auch.
     
    Die Geschichte seiner letzten Jahre ist schnell erzählt. Er litt an dieser tristen Art Wahnsinn, von der man oft in billigen Revolverblättern liest. Millionär verhungert in Mietswohnung. Bankauszüge beweisen: Landstreicherin war reich. Vergessener Großbanker stirbt vereinsamt.
    Schon in der nächsten Woche zog er in das kleine rote Haus – in späteren Jahren verblasste es zu einem matten, ausgewaschenen Rosa. Kein Einwand meines Vaters konnte ihn davon abhalten. Ein Jahr darauf verkaufte er das Geschäft, für das er nach meiner Überzeugung zum Mörder geworden war. Sein exzentrisches Verhalten war schlimmer geworden, aber sein Geschäftssinn hatte ihn nicht verlassen, und so erzielte er einen hübschen Gewinn  – fantastisch wäre eigentlich der treffendere Ausdruck.
    Da lebte also mein Onkel Otto, möglicherweise sieben Millionen Dollar schwer, in diesem winzigen Häuschen in der Black Street Henry. Sein Haus in der Stadt war verschlossen, die Fensterläden zu. Inzwischen war er von »verdammt verschroben« auf »so verrückt wie eine Scheißhausratte« vorgerückt. Der nächste Schritt wird etwas platter, weniger farbig, aber dafür unheilverkündender in Worte gekleidet: »Vielleicht gemeingefährlich.« Darauf folgt dann oft die Einweisung.
    Auf seine Weise wurde Onkel Otto genau so eine Institution wie der Lastwagen auf der anderen Straßenseite, obwohl ich bezweifle, dass jemals ein Tourist ein Foto von ihm machen wollte. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, der eher gelblich als weiß wurde, als würde ihn das Nikotin seiner Zigaretten einfärben. Er war richtig fett geworden. Die schlaffe Haut seiner Wangen hing lose in runzeligen Falten voller Schmutz herunter. Die Leute sahen ihn oft im Eingang seines merkwürdigen Häuschens stehen, wo er bewegungslos auf die Straße und hinüber sah.
    Zum Lastwagen – seinem Lastwagen.
     
    Als Onkel Otto nicht mehr in die Stadt fuhr, sorgte mein Vater dafür, dass er nicht verhungerte. Er brachte ihm jede Woche Lebensmittel und bezahlte sie aus der eigenen Tasche, denn Onkel Otto gab ihm das Geld nie zurück – dachte einfach nicht daran, nehme ich an. Dad starb zwei Jahre vor Onkel Otto, dessen Geld schließlich im forstwissenschaftlichen Institut der Universität von Maine landete. Wie ich hörte, waren sie hocherfreut. In Anbetracht der Summe sollte man das auch meinen.
    Nachdem ich 1972 den Führerschein gemacht hatte, brachte ich oft die wöchentliche Lebensmittelration hinaus. Anfangs begegnete mir Onkel Otto voller Misstrauen, aber nach einer Weile taute er auf. Es war drei Jahre später, 1975, als er mir zum ersten Mal erzählte, dass der Lastwagen auf das Haus zukroch.
    Ich besuchte inzwischen die Universität von Maine, aber im Sommer war ich daheim und nahm meine alte Gewohnheit wieder auf, Onkel Otto die wöchentliche Lebensmittelration zu bringen. Er saß rauchend am Tisch, sah mir zu, wie ich die Konserven aufräumte, und hörte sich mein Geschwätz an. Ich glaubte, er wusste nicht mehr, wer ich war; manchmal vergaß er das – oder tat so. Einmal hatte er mir das Blut in den Adern gefrieren lassen, als er »Bist du es, George?« aus dem Fenster rief, während ich auf das Haus zuging.
    An diesem besonderen Tag im Juli 1975 unterbrach er plötzlich mein belangloses Plappern und fragte mit barscher Stimme: »Was hältst du von dem Lastwagen dort drüben, Quentin?«
    Diese unerwartete Frage überrumpelte mich so, dass ich eine ehrliche Antwort gab. »Ich habe im Fahrerhaus des Lasters in die Hosen gemacht, als ich fünf war«, sagte ich. »Ich glaube, wenn ich jetzt reinklettern würde, würde ich es wieder machen.«
    Onkel Otto schüttelte sich vor Lachen. Ich drehte mich um und sah ihn verblüfft an. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn schon einmal lachen gehört zu haben. Es hörte mit einem Hustenanfall auf, der seine

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