Blut - Skeleton Crew
Sühne …«, flüsterten die anderen unsicher.
»Bringt eure Überzeugung laut zum Ausdruck! Lasst es mich hören!«, kreischte Mrs. Carmody. Ihre Halsadern schwollen wie Stränge an. Ihre Stimme klang jetzt heiser und überschlug sich, war aber immer noch kraftvoll. Mir fiel ein, dass erst der Nebel ihr diese Macht verliehen hatte – die Macht, das Denken der Leute zu umnebeln, um ein besonders treffendes Wortspiel zu machen – wie er uns anderen die Energie entzogen hatte, die uns die Sonne spendete. Bis dahin war sie nur eine exzentrische alte Frau gewesen, die ein Antiquitätengeschäft in einer Kleinstadt besaß, wo es vor derartigen Geschäften nur so wimmelte. Nur eine alte Frau mit einigen ausgestopften Tieren im Hinterzimmer und einem gewissen Ruf als
(diese Hexe … dieses verdammte Weib)
Expertin für Volksheilkunde. Es heißt, sie könne mit einem Apfelbaumstock Wasser aufspüren, Warzen wegzaubern und einem eine Creme verkaufen, die Sommersprossen fast verschwinden ließe. Ich hatte sogar gehört – vom alten Bill Giosti? –, dass man Mrs. Carmody (natürlich völlig diskret) wegen seines Liebeslebens konsultieren konnte; wenn man an ehelichem Versagen litt, konnte sie einem ein Getränk geben, das den Rammbock wieder auf Vordermann brachte.
»SÜHNE!«, brüllten sie jetzt alle zusammen.
»Richtig – Sühne!«, schrie sie ekstatisch. »Sühne wird diesen Nebel beseitigen! Sühne wird diese Monster und Ausgeburten der Hölle besiegen! Sühne wird den Nebel von euren Augen nehmen und euch sehend machen!« Ihre Stimme wurde etwas leiser. »Und was sagt die Bibel über Sühne? Was ist Sühne? Was ist in den Augen Gottes die einzige Läuterung von den Sünden?«
»Blut.«
Diesmal jagte der Ausruf mir einen Schauder durch den ganzen Körper, und mir sträubten sich die Nackenhaare. Mr. McVey hatte dieses Wort ausgesprochen, Mr. McVey, der Metzger, der in Bridgton schon Fleisch geschnitten hatte, als ich noch ein kleines Kind gewesen war und mich an der talentierten Hand meines Vaters festgehalten hatte. Mr. McVey, der Kundenwünsche entgegennahm und in seinem weißen Kittel Fleisch schnitt. Mr. McVey, der sehr erfahren im Umgang mit dem Messer war – ja, und auch mit dem Hackmesser und der Knochensäge. Mr. McVey, der besser als jeder andere verstand, dass die Läuterung der Seele aus den Wunden des Körpers fließt.
»Blut …«, flüsterten sie.
»Daddy, ich hab Angst«, sagte Billy. Er umklammerte meine Hand, und sein Gesicht war bleich und angespannt.
»Ollie«, sagte ich. »Wir sollten machen, dass wir aus diesem Irrenhaus rauskommen!«
»Gut«, sagte er. »Lasst uns gehen.«
Wir gingen als lose Gruppe den zweiten Gang entlang – Ollie, Amanda, Cornell, Mrs. Turman, Mrs. Reppler, Billy und ich. Es war Viertel vor fünf, und der Nebel begann wieder heller zu werden.
»Sie und Cornell nehmen die Lebensmitteltüten«, sagte Ollie zu mir.
»Okay.«
»Ich gehe als Erster hinaus. Ihr Scout hat vier Türen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Okay, ich werde die Fahrertür und die Hecktür auf der gleichen Seite öffnen. Mrs. Dumfries, können Sie Billy tragen?«
Sie nahm ihn auf den Arm.
»Bin ich zu schwer?«, fragte Billy.
»Nein, Liebling.«
»Gut.«
»Sie und Billy steigen vorn ein«, fuhr Ollie fort. »Rücken Sie weiter bis zur anderen Tür. Mrs. Turman setzt sich vorn in die Mitte, David auf den Fahrersitz. Wir Übrigen werden …«
»Wohin wollten Sie denn gehen?«
Es war Mrs. Carmody.
Sie stand an der Kasse, wo Ollie die Lebensmitteltüten versteckt hatte. Ihr Hosenanzug war ein gelber Schrei im Halbdunkel. Ihre Haare standen wild nach allen Seiten ab und erinnerten mich an Elsa Lanchester in Frankensteins Braut. Ihre Augen sprühten Blitze. Zehn oder fünfzehn Leute standen hinter ihr und versperrten die Türen.
Ihre Gesichter hatten den Ausdruck von Menschen, die einen schweren Autounfall erlitten oder die Landung einer fliegenden Untertassse miterlebt oder gesehen hatten, wie ein Baum seine Wurzeln aus der Erde zog und davonspazierte.
Billy presste sich gegen Amanda und vergrub das Gesicht an ihrem Hals.
»Wir gehen jetzt hinaus, Mrs. Carmody«, sagte Ollie. Seine Stimme war bemerkenswert freundlich. »Lassen Sie uns bitte vorbei!«
»Sie können nicht hinaus. Dieser Weg führt in den Tod. Haben Sie das immer noch nicht begriffen?«
»Niemand hat Sie an Ihrem Tun gehindert«, sagte ich. »Wir wollen nichts als das gleiche Recht.«
Sie bückte sich
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