Blut - Skeleton Crew
genau so, wie Miller vorhergesagt hatte. Bis zu den frühen Morgenstunden hatte Mrs. Carmody ein weiteres halbes Dutzend Seelen für sich gewonnen, darunter Mr. McVey, den Metzger. Er stand mit verschränkten Armen da und ließ sie nicht aus den Augen.
Sie war völlig aufgekratzt. Sie schien keinen Schlaf zu benötigen. Ihre Predigt, ein stetiger Strom von Schreckensbildern à la Doré, Bosch und Jonathan Edwards, nahm kein Ende und steuerte auf einen Höhepunkt zu. Ihre Gruppe begann mit ihr zu murmeln, sich unbewusst hin und her zu wiegen wie echte Gläubige bei einer Zeltmission. Ihre Augen waren schwarz und glänzend. Sie standen unter Mrs. Carmodys Bann.
Gegen drei Uhr früh (die Predigt ging pausenlos weiter, und die Leute, die nicht interessiert waren, hatten sich nach hinten verzogen und versuchten, etwas Schlaf zu finden) sah ich, wie Ollie eine Tüte mit Lebensmitteln auf einem Fach unter der Kasse deponierte, die der Ausgangstür am nächsten war. Eine halbe Stunde später stellte er eine weitere Tüte daneben. Niemand außer mir schien ihn zu bemerken. Billy, Amanda und Mrs. Turman schliefen nebeneinander in der Nähe der geplünderten Imbissabteilung. Ich setzte mich zu ihnen und fiel in einen unruhigen Halbschlaf.
Auf meiner Armbanduhr war es Viertel nach vier, als Ollie mich wachrüttelte. Cornell war bei ihm. Seine Augen leuchteten munter hinter seiner Brille.
»Es ist Zeit, David«, sagte Ollie.
Ein nervöser Krampf zog meinen Magen zusammen, verging aber wieder. Ich rüttelte Amanda wach. Die Frage ging mir im Kopf herum, was passieren würde, wenn Amanda und Stephanie zusammen im Auto saßen, aber ich verdrängte sie rasch wieder. Heute würde es das Beste sein, die Dinge einfach so zu nehmen, wie sie kamen.
Die erstaunlich grünen Augen öffneten sich und sahen in meine. »David?«
»Wir wollen versuchen, von hier wegzukommen. Möchtest du mit?«
»Wovon sprichst du?«
Ich wollte es ihr erklären, aber dann weckte ich zuerst Mrs. Turman auf, damit ich es nur einmal erzählen musste.
»Diese Theorie über den Geruch«, sagte Amanda. »Sie ist nichts weiter als eine Vermutung, oder?«
»Ja.«
»Das ist mir egal«, sagte Hattie. Ihr Gesicht war weiß, und obwohl sie einige Stunden geschlafen hatte, lagen große dunkle Ringe unter ihren Augen. »Ich würde alles tun – jedes Risiko eingehen –, nur um wieder die Sonne zu sehen!«
Nur um wieder die Sonne zu sehen. Ein Schauder überlief mich. Sie hatte einen Punkt berührt, der dem Zentrum meiner eigenen Ängste sehr nahe kam. Man konnte die Sonne nur noch wie eine kleine Silbermünze durch den Nebel hindurch sehen. Es war, als wären wir auf der Venus.
Es waren nicht einmal so sehr die Monster, die im Nebel lauerten – mein Speerwurf mit der Eisenstange hatte mir gezeigt, dass sie keine unsterblichen Lovecraft’schen Wesen waren, sondern organische Kreaturen, die durchaus verletzbar waren. Es war vielmehr der Nebel selbst, der die Kräfte schwächte und den Willen lähmte. Nur um wieder die Sonne zu sehen. Sie hatte recht. Das allein war es wert, selbst durch die Hölle zu gehen.
Ich lächelte Hattie zu, und sie erwiderte zögernd mein Lächeln.
»Ja«, sagte Amanda. »Ich auch.«
Ich begann, Billy so sanft wie möglich zu wecken.
»Ich bin dabei«, sagte Mrs. Reppler kurz.
Wir standen alle bei der Fleischtheke, alle außer Bud Brown. Er hatte uns für die Einladung gedankt, aber abgelehnt. Er wolle seinen Posten im Supermarkt nicht verlassen, hatte er erklärt, aber in bemerkenswert freundlichem Ton hinzugefügt, dass er Ollie keinen Vorwurf deswegen machte.
Ein unangenehmer süßlicher Gestank ging allmählich von der weißen Emailletruhe aus, ein Gestank, der mich daran erinnerte, wie wir nach einer Woche Aufenthalt am Kap heimkamen und feststellen mussten, dass unsere Tiefkühltruhe den Geist aufgegeben hatte. Ich glaube, es war der Gestank von verdorbenem Fleisch, der Mr. McVey zu der Gruppe um Mrs. Carmody getrieben hatte.
»… Sühne! Wir wollen jetzt über die Sühne nachdenken. Wir sind mit Geißeln und Skorpionen geschlagen worden! Wir sind bestraft worden, weil wir in jene Geheimnisse eingedrungen sind, die Gott von jeher unserem Zugriff entzogen hat! Wir haben gesehen, dass die Erde sich aufgetan hat! Wir haben grässliche Obszönitäten mit ansehen müssen! Der tote Baum gibt Obdach nicht! Und wie soll das enden? Was wird es beenden?«
»Sühne!«, brüllte der gute alte Myron LaFleur.
»Sühne …
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