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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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gewann meine Sicherheit zurück, aber dennoch war es kein angenehmer Gedanke, sich diesen Empfindungen schutzlos ausgeliefert zu sehen.
    Empfindungen! Das war es. Ich musste mir nur bewusst werden, dass sie nicht real waren. Oder dass sie zumindest einer uralten Vergangenheit entstammten.
    Das Wolfsgeheul kam näher, und meine Beunruhigung wuchs – trotz meines Vorsatzes.
    Es klang jetzt fast wie das Weinen von Kindern – klagend und unheimlich. Die Töne vermischten sich mit dem Rauschen des Windes und mit denen anderer nächtlicher Waldbewohner.
    Mein Gehör funktionierte weit intensiver als je zuvor. Sogar das unterirdische Rascheln einiger Mäuse unter meinen Füßen vernahm ich.
    Noch intensiver wurde mein Geruchsinn. Es war, als würde die Welt um mich herum explodieren, so überwältigte er mich.
    Ich roch meine Umgebung, jeden einzelnen Baum, jedes noch so kleine Lebewesen um mich herum .
    Ich konnte es nicht beschreiben, es war eine völlig neue Erfahrung.
    Schließlich konnte ich mich wieder bewegen. Ich ließ mich auf alle viere nieder und machte ein paar vorsichtige Schritte.
    Es gelang, und augenblicklich wurde ich mutiger. Ich tänzelte umher, sprang in die Luft, und schließlich lief ich vorwärts – dem Wolfsgeheul entgegen ...
    »Du warst was? «, fragte Maren besorgt.
    Wir saßen am Frühstückstisch. Maren hatte Konfitüre, Schinken und frische Brötchen besorgt. Ich aß mit Heißhunger.
    »Ich befand mich im Körper eines Wolfs«, wiederholte ich zwischen zwei Bissen. Doch erst nachdem ich die eine Brötchenhälfte hinuntergeschlungen hatte, schwächte ich ab: »Natürlich nur im Traum.«
    Von Maren hatte ich erfahren, dass der Abend aus ihrer Sicht ganz unspektakulär zu Ende gegangen war. Ich war eingeschlafen. Ollie hatte mitgeholfen, mich wieder ins Bett zu tragen, und danach hatten er und Steffi sich klammheimlich verdrückt. Maren war nach einiger Zeit ebenfalls nach Hause gefahren. Sie war erst zum Frühstück wieder erschienen.
    »Schade, dass du nicht geträumt hast, wer Ludwigs Mörder ist.«
    »Ja, wirklich schade«, pflichtete ich ihr bei und verschlang die zweite Brötchenhälfte.
    »Jedenfalls schlingst du schon wie ein Wolf.«
    Augenblicklich aß ich langsamer. Ja, es fiel mir plötzlich selbst auf, wie heißhungrig ich war.
    »Sag mal, du hast doch nicht etwa noch andere Eigenschaften aus deinem Traum mit herübergebracht?«
    »Andere Eigenschaften?«
    »Na, wölfische?«
    Ich musste lachen. »Du meinst, ich verwandle mich jetzt vielleicht in einen Werwolf?«
    »Lach nicht, es gibt solche Fälle. Die haben nichts mit dem gängigen Aberglauben zu tun. Aber in der Psychoanalyse gibt es ganze Regalwände voller Fallbeispiele. Denk an Massenmörder wie Haarmann oder Kürten, den Vampir von Düsseldorf. Wenn man die Verhörprotokolle liest, hat man den Eindruck, dass sie sich in ihrem Blutrausch verhalten haben wie Tiere.«
    »Barbarisch!«, knurrte ich und köpfte ein gekochtes Ei.
    »Na ja, manche wurden auch in ein Kloster gesteckt. Um 1600 prahlte ein gewisser Jean Grenier überall damit herum, dass er als Werwolf über fünfzig Kinder getötet und gefressen hätte. Man verbannte ihn in ein Franziskanerkloster.«
    «Sehr gnädig.« Das Ei war etwas zu hart gekocht. Ich mochte es lieber weicher. Aber so wie Maren im Moment drauf war, sagte ich ihr das lieber ein andermal.
    »Lykantrophie ist eine ernsthafte Krankheit, mit der nicht zu spaßen ist.«
    »Und? Sind meine Ohren schon gewachsen?«
    »Nein, und du hast auch keine vorstehenden Zähne oder zusammengewachsene Augenbrauen.«
    »Immerhin ist meine Brust stark behaart!«
    »Du machst dich lustig über mich.«
    »Nein, aber ich spüre gerade ein starkes Verlangen. Geradezu animalisch!«
    Maren kicherte, als ich nach ihr fasste. Ich gab ein wölfisches Heulen von mir.
    »Lass uns wenigstens zu Ende frühstücken«, schlug sie vor.
    »Ich weiß nicht, ob ich meine animalische Begierde so lange zügeln kann. Aber ich bemühe mich.«
    Das Ei war wirklich sehr hart.

11.
    Pünktlich um neun klopfte ich an Norberts Bürotür. Maren hatte mich abgeliefert, musste aber gleich wieder weiterfahren. In ihrer Praxis erwartete sie um die Zeit bereits ein volles Wartezimmer.
    Norbert saß hinter seinem Schreibtisch und sah mich nicht gerade freundlich an. Seine Augen lagen in tiefen Schatten. Es sah aus, als hätte er die Nacht durchgearbeitet. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen.
    »Bist du in dich gegangen und gestehst?«, begrüßte

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