Blut vergisst nicht: 13. Fall mit Tempe Brennan
Stuhl hin und her. »Alvarez endet in einem Grab in North Carolina. Lowery endet in einem Teich in Quebec, weil er an sich selber rumgemacht hat. Wie kam's zu dieser Verwechslung?« Ich hatte keine Erklärung.
Sekunden vergingen. Dannys Hin-und-her-Wackeln machte mich seekrank.
Ich richtete den Blick auf den Tisch. Erinnerte mich an das goldene Ding in der versperrten Schublade.
»Hat Craig schon irgendwelche Ideen, was das Enten-Pilz-Ding sein könnte?«
»Verraten hat er mir noch keine.«
»Und jetzt?«, fragte ich.
»Jetzt warten wir auf die Alvarez-Akte.«
»Und?«
»Rekonstruieren, was von dem Schädel noch übrig ist?«
Genau das taten wir auch. Tat ich auch. Danny saß fast den ganzen Vormittag in einer Besprechung zu einer Fallbewertung.
Während ich Fragmente aneinanderfügte und verklebte, wirbelte in mir ein Mahlstrom der Gefühle. Wenn wir recht hatten mit der Verwechslung 68, würde die Familie Alvarez nun endlich einen Schlussstrich ziehen können. Und Plato wäre dann gezwungen, sich der Realität zu stellen.
So ist das Leben. Eine positive Veränderung hier, eine negative dort.
In meinem Kopf stritten Bilder um meine Aufmerksamkeit. Plato, der auf meinem Beifahrersitz in einem Album blätterte. Der auf dem Friedhof von Lumberton in die Sonne blinzelte.
Ich überlegte. Ich schien sein Vertrauen gewonnen zu haben. Aber wie sollte ich nun dem alten Mann sagen, dass das Grab, an dem er all diese Jahre getrauert hatte, nie seinen Sohn enthalten hatte?
Ich drückte eben Kleber auf ein Stirnfragment, als ein Gedanke mich blendete. Meine Hände erstarrten.
Spider Lowery war aus Lumberton, North Carolina. Robeson County. Unmöglich.
Ich stellte mir Plato vor.
Die Gesichter in seinem Album.
Der Junge in dem Schnappschuss auf Jean Lauriers Schreibtisch.
Vielleicht doch?
Ich ging in Dannys Büro und schlug Spiders Akte auf.
Sooft ein Formular nach der Rasse fragte, markierte ein Häkchen das Kästchen neben dem Wort »weiß«. Eine handschriftliche Notiz in den zahnärztlichen Unterlagen beschrieb Lowery als »Kauk«. Kaukasisch.
Und doch.
Ich schaute auf die Uhr. Zwölf vierzig. Ich ging in die Küche und aß einen Joghurt und einen Müsliriegel. Riss ein Diet Coke auf. Überlegte. Kehrte zum Kleben zurück.
Doch die eine simple Wahrheit ließ mich nicht mehr los.
Leute stellen sich falsch dar, wenn sie Formulare ausfüllen müssen. Männer machen sich größer. Frauen machen sich schlanker und jünger.
Leute lügen.
Eins dreißig.
Noch nicht zu spät.
Ich tippte eine Nummer in mein BlackBerry. Vorwahl 910.
Es klingelte zwölfmal, dann war die Leitung tot.
Ich legte auf und versuchte eine andere Ziffernfolge. Obwohl es kühl war im Labor, standen mir Schweißtropfen auf der Stirn.
»Sugarman's Funeral Home«, flötete eine klebrig süße Stimme. »Silas Sugarman, bitte. Temperance Brennan hier.«
»Einen Augenblick, bitte.«
»Tanz der seligen Geister« aus Orpheus und Eurydice} Auch wenn die Musik beruhigend gemeint war, regte sie mich nur noch mehr auf.
»Dr. Brennan. Was für eine Freude. Sie sind zurück aus Hawaii?«
»Ich rufe aus Honolulu an.«
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich brauche persönliche Informationen über Spider Lowery.«
»Vielleicht sollten Sie mit Spiders Daddy reden.«
»Plato geht nicht ans Telefon.«
»Ich werde tun, was ich kann.« Zurückhaltend. »Mit der gebotenen berufsethischen Rücksichtnahme natürlich.«
»Natürlich. Sind die Lowerys indigene Amerikaner?«
Sugarman antwortete so lange nicht, dass ich schon dachte, er hätte die Frage als Beleidigung empfunden. Oder als Eingriff in die Privatsphäre.
»Sie meinen indianisch?«
»Ja, Sir.«
»Ach wissen Sie, kleine Lady die meisten Leute im Robeson County haben eine Adlernase oder zwei in ihrem Familienstammbaum. Meine eigene Großmutter war Indianerin, Gott sei ihrer Seele gnädig.«
»Die Lowerys, Sir?«
»Natürlich die auch. Plato ist ein halber Lumbee, seine Frau war's auch, kam aus Pembroke, gleich ums Eck.«
Sugarman meinte die Lumbee, eine Gruppe indigener Amerikaner, die ihren Namen vom Lumber River herleiteten.
Die Lumbee, Abkömmlinge von den Cheraw und anderen Siouan-Sprechern, bevölkern die Gegend, die jetzt Robeson County heißt, seit dem 18. Jahrhundert. Sie sind der größte Stamm in North Carolina, der größte östlich des Mississippi, und der neuntgrößte in den Vereinigten Staaten.
Und vielleicht der benachteiligtste.
Die Lumbee wurden 1885 von North
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