Blut Von Deinem Blute
bin Tourist, wissen Sie«, erklärte er, während sie ihn aufmerksam ansah. »Und gestern war ich hier bei Dr. Jennings, weil ich so fürchterliche Kopfschmerzen hatte.« Er hob entschuldigend die Achseln. »Da muss ich sie wohl liegenlassen haben.«
»Praxis zu«, erklärte die Frau. »Doktor nicht arbeiten S amstag.«
»Ich weiß«, entgegnete Leon mit einem tiefen Seufzer, der ihm selbst entsetzlich unecht vorkam. »Aber ich fliege morgen nach Deutschland zurück, und wollte versuchen, ob ich das verdammte Ding nicht vielleicht doch noch vor meiner Abreise wiederbekommen kann.« Er versuchte, das Lächeln zu imitieren, mit dem Kevin eine potenzielle Eroberung ins Auge fasste. »Ich bin leider ziemlich aufgeschmissen ohne Brille.«
Sie schien zu überlegen. »Ich mache sauber der ganze Haus«, sagte sie dann. »Wenn Sie wollen, wir sehen nach.«
»Gern«, sagte Leon, indem er ihr bereitwillig in einen großzügig mit Marmorplatten ausgelegten Flur folgte.
Dr. Jennings Praxis lag im Erdgeschoss, daneben führte eine imposante Treppe zu den darüberliegenden Büroetagen. An der Wand gegenüber befand sich ein Aufzug, vor demein gut bestückter Putzwagen abgestellt war, und das ganze Treppenhaus roch nach Zitrone und Desinfektionsspray.
»Wissen noch, wo haben abgenommen Brille?«, wollte die hilfsbereite junge Frau wissen, indem sie die Praxistür aufstieß, die – wie Leon aufmerksam registrierte – unverschlossen war.
»Im Warteraum, glaube ich«, antwortete er vage. »Oder im Sprechzimmer.«
»Moment«, nickte sie stirnrunzelnd. »Ich sehe nach.«
Er wartete, bis sie um die Ecke verschwunden war. Dann umrundete er den ausladenden Empfangstresen und warf einen Blick auf die Monitore der Sprechstundenhilfen, doch erwartungsgemäß waren sämtliche Rechner heruntergefahren. Als er die Schritte der Russin auf dem noch immer feuchten Marmor hörte, kehrte er eilig an seinen Platz vor dem Tresen zurück.
»Tut mir leid«, sagte die junge Frau, und in ihrer Stimme lag echtes Bedauern. »Keine Brille. Nicht in Behandlung und auch nicht in der Wartezimmer.« Ihr Blick traf Leons Augen. »Möglich haben der Helferinnen in eine Schrank gelegt, damit nicht kommt weg. Aber ich nicht trauen, nach der Schränke sehen. Heißen sonst, ich bringen durcheinander oder stehle.«
»Natürlich, das verstehe ich«, versicherte Leon hastig. »Trotzdem vielen Dank, dass Sie nachgesehen haben.«
»Nicht zu danke«, erwiderte die junge Frau und hielt ihm die Tür auf. Dann folgte sie ihm auf den frisch geputzten Flur hinaus.
»Aber vielleicht könnte ich einen Zettel mit meiner Adresse hinterlassen«, schlug Leon vor, als sie auf den Knopf für den Lift gedrückt hatte.
Sie drehte sich um. »Soll ich ...?«
»Nein, nein, bemühen Sie sich nicht«, unterbrach er sie, indem er den Notizzettel mit der Praxisadresse in die Höhe hielt. »Ich habe etwas zu schreiben dabei und stecke den Zettel dann vorn in den Briefkasten.«
Sie blickte noch einmal kurz an ihm hinunter, und offenbar lautete ihr abschließendes Urteil, dass er vertrauenswürdig genug war, um ihn hier im Treppenhaus allein zu lassen, denn sie nickte ihm zu und schob ihren Putzwagen in die Kabine des Aufzugs. »Schauen, dass Haustür richtig zu, bitte«, sagte sie noch. Dann surrten die Türen des Lifts vor ihrer zarten Gestalt zusammen.
»Worauf Sie sich verlassen können«, flüsterte Leon, indem er mit einer entschlossenen Bewegung die Tür zu Dr. Jennings Praxis aufstieß.
Mit rasendem Puls und hoffnungsfroher Erwartung fuhr er einen der drei Rechner hoch, doch kaum, dass sich die entsprechenden Programme aufgebaut hatten, holte ihn ein kleines weißes Fenster unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück, indem es ihn freundlich, aber bestimmt zur Eingabe eines Passwortes aufforderte. Leons Augen glitten über den Tresen und die Ablagekörbe neben dem Rechner. Keine Kinderfotos. Keine Hundefotos. Kein Foto des Ehemanns oder aktuellen Freundes. Stattdessen akribische Ordnung allenthalben. Oder? Er stutzte. Was war das für ein kleiner gelber Zettel dort, halb verdeckt von der Rückseite des Monitors?
BJenn24MD, stand auf dem abgegriffenen Papier, das mit Klebestreifen an der Rückseite des Tresens befestigt war.
Ohne lange zu überlegen, tippte Leon die Kombination aus Buchstaben und Zahlen in die Tastatur des Rechners.Das blinkende, leere Feld auf dem Monitor füllte sich mit einer Reihe schwarzer Punkte, und nur Sekunden später öffnete sich eine Maske,
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