Bluteis: Thriller (German Edition)
hatte je zu fragen gewagt, woran Akua gestorben ist. Und dass Ekwo mit dem Tod Akuas etwas zu tun haben könnte, ja, sie sogar umgebracht hätte, daran wagt niemand im Dorf auch nur zu denken. Dort spricht man über solche Dinge nicht. Schon gar nicht, wenn es den Sohn des Chiefs betrifft. Hat Ekwo etwas Böses getan, dann hätten ihn die Dämonen vertrieben. Und die Dämonen hätten ihn gefunden. An jedem Ort der Welt. Im Dorf muss man sich darüber keine Sorgen machen. Und wenn er nichts Böses getan hat, dann ist er eben weg und wird das einfachere Leben in der Stadt dem harten Auskommen im Dorf vorziehen. Das haben vor ihm schon viele getan. Und nach ihm werden es sicherlich noch mehr tun.
Kisi wurde von ihrem Großvater Ebo aufgezogen. Niemand hat jemals den Namen ihrer Mutter oder ihres Vaters erwähnt. So ist es das Beste für alle. Zu leicht kann man die Dämonen auf sich aufmerksam machen, indem man zu oft die Namen der Toten oder der Verschwundenen im Munde führt.
Kisi beschäftigt sich tatsächlich mit den Kariténüssen, wenn sie den halben Nachmittag unter dem Baum liegt. Heute ist auch noch Sonntag. Sonntag ist ihr Tag. Wie allen Angehörigen der Akan-Völker, die noch traditionell leben, ist sie nach dem Tag ihrer Geburt benannt worden. Kisi heißt Sonntag. An Sonntagen träumt sie sich den Weg entlang, den die Nüsse, die noch am Baum hängen, bald nehmen werden, um in die Welt hinauszugehen.
Bald werden sie sie ernten. Dann werden sie die Mädchen und Frauen des Dorfes in großen Bottichen waschen und anschließend zerstampfen. Sie werden Wasser in den Kesseln aufsetzen und die zerstampften Nüsse so lange darin kochen, bis sich das Fett der Samen an der Oberfläche absetzt. Als Sheaöl wird es abgeschöpft. Wenn es abgekühlt ist, wird es fest und als reinste Sheabutter in Plastiktüten verpackt. Wenn die Regenfälle es zulassen, fährt Chief Ebo sie mit seinem Toyota über die löchrige Piste zum Markt nach Foso. Hier wird die Butter gewogen, und Ebo bekommt den Gegenwert ausbezahlt.
Bis zum Umschlagplatz in Foso ist Kisi schon gekommen. Ebo hat sie schon drei Mal dorthin mitgenommen. Den weiteren Weg, den die Sheabutter von Foso aus nimmt, hat sie sich von Ebo erzählen lassen. Er hat ihr vom Lastwagentransport ihrer Butter nach Cape Coast berichtet. Von dort wird das Pflanzenfett in die Hauptstadt Accra reisen. Und dort wird der Stoff, der heute noch in den kleinen Nüssen enthalten ist, auf ein großes Schiff verladen. Und dieses legt erst irgendwo an der Südküste Europas wieder an. Vielleicht auch an der Nordküste, da war sich Ebo nicht so sicher. Jedenfalls wird ihre Sheabutter nach Europa reisen. Um dort zusammen mit vielen anderen allerfeinsten Zutaten aus Afrika, aus Indien, aus Asien zu einer Creme verarbeitet zu werden, die sich nur die allerreichsten und allerschönsten Prinzessinnen leisten können. Und die werden sie auf ihre Haut auftragen, weil die Sheabutter aus dem Dorf Awisam in der Ashanti-Region von Ghana die allerbeste Sheabutter auf der ganzen Welt ist und ihre Prinzessinnenhaut davon ewig jung und frisch bleibt. Dank Kisis Hände Arbeit, die die Früchte ihres Baumes, unter dem sie die Sonntage verbringt, in Butter verwandeln konnte, wird eine echte Prinzessin noch schöner werden. Damit sie ihren Prinzen bekommt. Ihn heiraten kann. Königin wird. Selbst Prinzen und Prinzessinnen auf die Welt bringt.
Die Stationen dieser Reise malt sich Kisi an jedem freien Tag unter dem großen alten Baum in den schönsten Farben aus. Und nicht nur das. Sie nimmt sich jedes Mal fest vor, diese Reise selbst anzutreten. Sobald Ebo sie mit einem Mann aus dem Nachbardorf verheiratet – und das kann nicht mehr lange dauern –, wird sie diesen überreden, mit ihr der Sheabutter hinterherzufahren. Nur ein einziges Mal. Sie werden wiederkommen. Was sonst? Aber einmal muss sie die Prinzessinnen sehen, die sie aus dem TV-Apparat kennt, den es am Warenumschlagplatz in Faso gibt.
Es wird Zeit für Kisi, nach Hause ins Dorf zurückzukehren. Es ist ein Fußmarsch von einer halben Stunde hinab von dem Hügel, auf dem ihr Baum steht. Der Weg führt vorbei an den anderen Karitébäumen, aber keiner ist so stark und so groß wie ihrer. Er hat wohl schon vor zwei Jahrzehnten ein Buschfeuer überstanden, wie sie von Ebo weiß. Viele der jüngeren Bäume sind erst danach gewachsen.
Kisi ist zweihundert Meter von ihrem Baum entfernt, da hört sie ein Brummen auf sich zukommen. Direkt von vorn. Ebos
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