Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
vorbei. Er dachte: Aber der Fund von Welhavens Leiche hat Petter Bull verdammt gut in den Kram gepasst .
Er ging mit raschen Schritten zurück in sein Büro.
Ob es ihm in den Kram passte oder nicht, es blieben Formalitäten zu klären. Nur ein Moment konnte die Selbstmordhypothese ins Wanken bringen: das Fehlen eines Abschiedsbriefs. Bisher war die einzige Schriftprobe aus Welhavens Hütte ein Hávamál-Zitat. Doch das Zitat brachte keine Klarheit, weder was den Selbstmord noch was den Fall insgesamt betraf. Andererseits konnte Welhaven vorher jemanden angerufen haben, der sich noch nicht gemeldet hatte. Oder er hatte irgendjemandem einen Brief geschickt. Frank Frølich hatte eigentlich aufgehört, sich darüber Gedanken zu machen. Etwas anderes drängte die ganze Zeit in sein Bewusstsein.
Im Büro angekommen, blieb er einige Minuten sitzen und starrte sein Telefon an. Er erwog das Für und Wider – sollte er anrufen und es sofort abklären – oder sollte er hinfahren und eine Konfrontation unter vier Augen suchen?
Eigentlich ist die Problemstellung Antwort genug, dachte er. Bring es hinter dich, rufe an, frage und kläre die Angelegenheit . Aber wie sollte er sich ausdrücken?
Er griff zum Telefon. Es klingelte zwei Mal, bevor Maria Hoff sich endlich meldete. »Hier ist noch einmal Frank Frølich von der Polizei. Ich habe noch einige Fragen zum Fall Arne Werner Welhaven.«
»Da haben Sie aber Glück. Ich habe fünf Minuten Zeit. Fragen Sie!«
»Welhavens Leiche ist gefunden worden.«
Es wurde ganz still im Hörer.
Frølich räusperte sich und fügte hinzu: »Ertrunken. Die Umstände lassen auf ein Selbstverschulden schließen.«
»Das sind traurige Nachrichten.«
»Es sieht also so aus, als hätte er die Depression, die Sie erwähnten, doch nicht überwunden.«
Maria Hoff antwortete nicht.
»Der Fall unterliegt einer anderen Polizeiinspektion.«
»Ja, aber jedenfalls vielen Dank, dass Sie so freundlich waren, mich zu informieren.«
Frølich setzte noch einmal an und fragte: »Wie gut kennen Sie einen Polizeibeamten namens Petter Bull?«
In der Stille, die folgte, zählte er langsam bis drei, bevor die Psychologin antwortete: »Ich kenne niemanden mit diesem Namen.«
Frølich hatte diese Antwort nicht erwartet. Er schwieg.
»Wieso fragen Sie?«, wollte sie wissen.
»Nur so«, murmelte er und legte auf.
Er sah vor sich hin. Petter Bull und Maria Hoff stritten beide ab, einander zu kennen. Gunnarstranda behauptete, dass sie sich kannten – gut genug, um heftig miteinander zu diskutieren.
Frank Frølich hatte ein durchaus kompliziertes Verhältnis zu Gunnarstranda, aber eins wusste er mit Sicherheit: Der Mann würde sich nie zu einer derartigen Lüge herablassen.
23
Es war Freitag und Gunnarstranda war unterwegs zu seiner Hütte, als in den Nachrichten der Ausgang von Vibeke Starums Fall vor dem Untersuchungsrichter gemeldet wurde. Die Polizei hatte sich mit ihrem Antrag, den Bandenkriminellen Darak Fares wegen Mordes an dem Polizeibeamten Ivar Killi in Untersuchungshaft zu nehmen, nicht durchsetzen können.
Gunnarstranda bewilligte sich aus schierer Heiterkeit ein Nikotinkaugummi. Er kaute grinsend und fragte sich, wie Vibeke Starum den vom Gesetz geforderten begründeten Verdacht wohl formuliert haben mochte: keine Zeugen der Schießerei, keine Tatwaffe, kein Motiv.
Er schaltete das Radio aus, genoss die Stille. Die Haftentlassung war auch für Rindal als Abteilungsleiter ein Kratzer im Lack. Er und Vibeke Starum mussten sich dringend etwas Neues einfallen lassen.
Die Sonne flimmerte über weiß wogenden Kumuluswolken, als er vor Drammen abbog und auf der kurvenreichen Straße nach Süden fuhr. Er verlangsamte das Tempo, als er schließlich die Schotterpiste bergauf fuhr. Die Leute in den Hütten hatten ihre Wagen in Reih und Glied geparkt. Gunnarstranda hakte die kleine Kette los, die seinen eigenen Parkplatz freihielt. Er stellte den Wagen ab. Als er die Hütte erreicht hatte, setzte er sich als Erstes auf die Terrasse. Die Luft war warm, und auf dem Fjord waren Segler unterwegs. Er betrachtete die kleine Rasenfläche. Es war so trocken, dass sie hier und da braune Flecken zeigte.
Er brauchte lange, um den Smoker zu befeuern, bevor er die Schutzkleidung anzog. Er benutzte Zeitungspapier und winzige Rindenstücke, um das Feuer in Gang zu bringen. Als es aufflammte, nahm er eine Mischung aus Sackleinen und selbst angebautem Tabak, um den richtigen Rauch im Smoker herzustellen.
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