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Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)

Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)

Titel: Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl
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willst, den Inhalt analysieren zu lassen, kommt dabei wahrscheinlich heraus, dass er Schlaftabletten oder irgendeinen anderen Mist hineingemischt hat.«
    Frølich griff nach der Flasche. Er fragte: »War es Borkman oder Baumeister Solness, der in den Wasserfall gegangen ist?«
    »Der Baumeister ist in den Steinbruch gegangen. Der mit dem Wasserfall war Rosmer.«
    »Ich bringe diese Typen bei Ibsen immer durcheinander!«, sagte Frølich. »Das einzig Sichere bei ihnen ist, dass sie im letzten Akt draufgehen.«
    Gunnarstranda hockte sich vor das Kleiderbündel. »Arne Werner Welhaven ist zu seiner Hütte gefahren, hat sich volllaufen lassen, auf den Stein gesetzt und weiter gepichelt. Er hat auf die Stromschnellen geschaut, sich ordentlich ausgezogen, die Sachen zusammengelegt und sein Leben dem Wasserfall überlassen.«
    »Aber ist das wahrscheinlich?« Frølich strich sich das Haar aus der Stirn. »Ein Witwer, der vor einigen Monaten seinen Sohn verloren hat. Nur noch er und die Tochter sind übrig. Glaubst du, er würde der Tochter so etwas antun?«
    Gunnarstranda antwortete nicht. Tief unten konnten sie Polizisten mit der Leiche hantieren sehen. Sie hatten den Körper an Land geschafft und auf eine Plane gelegt.
    Er versuchte, sich Bilder von Arne in ihrer Jugend in Erinnerung zu rufen. Doch es tauchten keine auf. Er dachte plötzlich an Tove, den Menschen, der ihm heute am nächsten stand. Sie las ständig Romane, die voller Kindheitsschilderungen waren. Er selbst erinnerte sich kaum an etwas aus seinen frühen Jahren. Er dachte an Hilmars Behauptung, er und Arne seien Freunde gewesen. Er wollte das nicht abstreiten, aber er erinnerte sich nicht.
    »Ich glaube, es hat mit Selbstverachtung zu tun«, sagte er schließlich. »Das Gefühl ist wie ein Krebs, der sich einschleicht und vollständig die Macht übernimmt und andere Gefühle verdrängt. Welhaven war bestimmt ein guter Kerl. Aber wenn er einsam war, dann hat seine Selbstverachtung dafür gesorgt, dass er mit der Einsamkeit allein blieb.«
    Frølich sah ihn fragend an.
    Gunnarstranda fuhr fort: »In einem meiner ersten Fälle ging es um einen Mann namens Danielsen. Eines Morgens stand er wie üblich auf dem Bahnsteig, um mit dem Zug zur Arbeit zu fahren. Er war sehr früh da. Ein anderer Zug kam hereingedonnert. Er erzählte mir später, er hätte überlegt, ob er sich vor diesem Zug auf die Schienen werfen sollte. Aber er ließ es bleiben. Ein Schild an der Zugtür zeigte an, dass der Zug nach Kopenhagen fuhr. Er stieg ein und fuhr nach Kopenhagen. Du kannst dir seine Frau und die Kinder vorstellen, die zu Hause saßen und sich Sorgen machten, als er nicht von der Arbeit zurückkam. Danielsen nahm ein Zimmer in einem Hotel in Vesterbro. Ohne Gepäck, neue Stadt, neuer Ort, neues Land. Zum ersten Mal seit langem spürte er eine Art Spannung in seinem Dasein, dass das Leben ihn wieder packte.
    Er wurde vermisst gemeldet, wurde gesucht, genauso, wie die Tochter von Welhaven ihren Vater als vermisst gemeldet hat. Aber Danielsen dachte überhaupt nicht an seine Familie. Er hatte eigentlich das Gleiche getan, wie sich vor den Zug zu werfen. Der Unterschied war nur, dass er sich, anstatt sich umzubringen, dafür entschied, neu geboren zu werden. Am nächsten Tag ging er zum Hauptbahnhof zurück und stieg in einen neuen Zug. Der fuhr nach Deutschland. Danielsen saß am Fenster und sah hinaus. Irgendwo in Baden gefiel es ihm, und er stieg aus. Er mietete ein Zimmer und begann bei einem Bauern zu arbeiten. Ein paar Monate später waren in Norwegen große Ferien. Ein früherer Nachbar von Danielsen war ein Liebhaber von deutschem Wein, und in diesem Sommer war Baden sein Ziel. Eines Tages fuhr der Nachbar durch das richtige Dorf. Er sah diesen Mann mit dem Spaten über der Schulter vorübergehen und erkannte ihn. »Hei, bist du hier?« Sie redeten miteinander. Als Danielsen hörte, dass er von der Polizei gesucht wurde und dass seine Frau und die Kinder außer sich waren vor Angst und Ungewissheit, begriff er gar nichts mehr. Er hatte geglaubt, sie wären nur froh darüber, ihn los zu sein – genauso froh, wie er war, sich selbst los zu sein. Er verachtete sich so sehr, dass er es als selbstverständlich ansah, dass es all seinen Nächsten ebenso ging. Verstehst du? Auf eine Weise war er tot. Aber er war ein Selbstmörder, der beschlossen hatte zu leben.«
    »Keine Warnsignale?«, fragte Frølich und schnippte mit den Fingern. »Nur so, mir nichts, dir

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