Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
Anschlagtafel hing ein undeutliches Computerbild des Mädchens aus dem Internetvideo. Wer ist diese Person? Tipps an Vibeke Starum .
Gunnarstranda betrachtete das Bild. Er erinnerte sich daran, was er gedacht hatte, als er die Fotos zum ersten Mal auf Killis Kamera gesehen hatte. Er hatte das Mädchen für eine Prostituierte gehalten. Nachdem er den Film gesehen hatte, war er nicht mehr so sicher. Dabei fiel ihm ein, dass er lange nichts von Anita, der fahrenden Hure, gehört hatte. Er fragte sich, ob er sie anrufen und die Angelegenheit verfolgen sollte. Zwar war er von dem Mordfall abberufen, aber Rindal & Co. hatten sich zuletzt sein Netzwerk zunutze gemacht. Also, dachte er, war er jetzt in einer Lage, in der es leichter war, um Vergebung zu bitten als um Erlaubnis. Er ging den Korridor hinunter an der geschlossenen Tür des Büros für Vermisstenfälle vorüber. Vor Frølichs Büro standen keine Schuhe mit losen Schnürsenkeln. Er würde eine Weile in Ruhe arbeiten können.
Anitas Anschluss war besetzt, und er bekam ihre Stimme nur auf dem Anrufbeantworter zu hören. Während sie sprach, klang im Hintergrund Geigenmusik.
Gunnarstranda wartete geduldig auf das Piep, sagte dann seinen Namen und bat sie um raschen Rückruf.
Ein halbe Stunde später rief sie zurück. Sie war mit einem Kunden in Espa beschäftigt gewesen. »Es muss an dieser Hitze liegen«, klagte sie. »So was von Verkehr habe ich seit mehreren Jahren nicht erlebt.«
»Was machst du, wenn die Regierung käuflichen Sex verbietet?«, fragte Gunnarstranda.
Falsche Frage an die falsche Person. Anita spuckte Lava wie ein Vulkan: »Käuflichen Sex verbieten? Das ist die Frauenfrage der Neomoralisten, ein kollektiver Ausbruch von Penisneid, es ist, wie wenn der Tierarzt ein männliches Rind verschneiden soll, dann kommen die Frauen von nah und fern, um mitzuhelfen, und sonst sieht man hier in Hedmarken nicht einen Rock.«
»Von dir abgesehen«, schob Gunnarstranda ein und fuhr schnell fort: »Vergiss es. Ich interessiere mich nur für das junge Mädchen, von dem ich gesprochen habe, Knebel und Unterwäsche aus den fünfziger Jahren und so weiter.«
Nein, Anita fand es sinnlos, das Foto anzusehen. Wenn die Beamten von der Sitte das Mädchen nicht kannten, dann kannte Anita es bestimmt auch nicht. Und über Polizisten, die kleine Mädchen im Bondage-Setting fotografierten, hatte sie nichts in Erfahrung bringen können. Dagegen konnte sie mit einem Parlamentsabgeordneten aufwarten, der Champagnersex liebte.
»Und das heißt?«
»Er mag es, wenn man auf ihn pinkelt. Sonst ist er harmlos: Ständig rote Wangen und ständig Angst vor Hunden.«
»Und wie gründlich bist du vorgegangen?«, fragte Gunnarstranda.
»Zusätzlich zu dem Politiker habe ich noch einen Immobilienpromi, der es liebt, von kleinen Jungs gepeitscht zu werden.«
»Anita …«
»Hör mal zu – und das können deine Kollegen von der Sitte dir auch sagen –, diese Branche ist nicht mehr, was sie mal war. Mädchen kommen und gehen die ganze Zeit, viele, die heutzutage als Hostessen arbeiten, sind Studentinnen, die ihr Studiengeld aufbessern. Sieh dich doch um, die Straßen sind voll von ausländischen Huren, die Blowjobs im Sonderangebot in Hauseingängen und Telefonzellen verkaufen, Luxusnutten aus London und Paris annoncieren mit Fotos und Angebotslisten im Internet, bevor sie auf Hoteltournee durch norwegische Städte tingeln. Oder was ist mit dem Baltikum? Bulgarien? Nigeria? Sagt dir der Begriff Trafficking etwas? Soweit ich weiß, arbeiten deine Kollegen von der Sitte mit so etwas. Aber ich bin ein fleißiges Mädchen gewesen und habe mich bei denen umgehört, die ich kenne. War sogar im Pro-Zentrum, wo man Gerüchte hören kann, die unter norwegischen und ausländischen Mädchen kursieren. Sadomaso ist an und für sich ein ziemlich gewöhnliches Ding geworden. Aber keines von den Mädels, mit denen ich geredet habe, hatte was von der Kombination minderjährig, Bondage und Modellfoto gehört.«
»Also was glaubst du?«, fragte Gunnarstranda mild.
»Eins habe ich über Männer gelernt in den Jahren, die ich dabei bin: Die Frau, auf die sie am schärfsten sind, wenn es darauf ankommt, ist das Mädchen von gegenüber. Ich tippe auf die Scheckkartentheorie.«
Nachdem er aufgelegt hatte, blieb Gunnarstranda noch eine Weile sitzen und überlegte. Stellte fest, dass er nichts anderes zu tun hatte. Also griff er sich einen Ausdruck vom Bild des Mädchens und ging zu seinem Wagen,
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