Blutfeuer
Unvermeidliche abzuwenden. »Gimli, in diesem Spielzeug
hier ist Gas. Es wird ein weißer Nebel austreten, und wenn wir den einatmen,
sind wir tot.« Mit wellenartigen Handbewegungen simulierte sie Bodennebel.
»Zschschschsch … Sterben, verstehst du, Gas?«
Der Zwerg zuckte zusammen. Das zischende Geräusch, das Theresas
Mutter imitiert hatte, um das austretende Phosgen nachzuahmen, hatte etwas tief
in seinem Inneren berührt. Eine alte, vergrabene Erinnerung war wieder zum
Leben erweckt worden und trieb nun immer klarer werdend an die Oberfläche von
Gimlis Bewusstsein. Seine Augen flackerten, und seine Hand stellte die Dose
wieder zitternd auf den Boden zurück. Die Augen des Zwerges weiteten sich, und
mit einer fast kindlichen Stimme sagte er: »Nicht spielen. Gefährlich. Mama
verboten. Nicht Spielzeug. Sterben. Mama schimpfen. Mama böse. Gefährlich.
Nicht spielen, gefährlich. Sterben.«
Der kleine Mann hatte sich mit dem Rücken an die Tür gestellt. Sein
Atem kam stoßweise. Die Arme hatte er weit ausgestreckt, seine Hände presste er
mit den Innenflächen gegen das Türblatt. Seine Erinnerung aus frühester Jugend
hatte ihn wieder. Er kannte diese Dose, und jetzt wusste er auch wieder, was
ihm seine Mutter gesagt hatte, was passieren würde, wenn er damit spielte.
Damals war sie unglaublich böse mit ihm gewesen. Alles fiel ihm jetzt wieder
ein.
Gerlinde Rosenbauer hatte die plötzliche Veränderung des Zwerges
voller Erstaunen mitverfolgt. Jetzt schien sich der arme Kerl wieder etwas
beruhigt zu haben. »Du hast mich verstanden, nicht wahr, Gimli?«, fragte sie
voller Hoffnung. »Du darfst das Spielzeug nicht benutzen. Pechmann hat dich
belogen. Er will, dass Theresa und ich sterben. Er will, dass du stirbst, verstehst
du? Auch du sollst tot sein.«
Gimli hatte verstanden. Eine Welt brach für ihn zusammen. Alles war
nur gelogen gewesen. Der, dem er immer treu gefolgt war, hatte ihn nur benutzt,
um ihn jetzt einfach umzubringen. Ihn und den nettesten Menschen, den er in
seinem Leben bisher getroffen hatte. Theresa, die nun völlig verängstigt auf
der anderen Seite des Raumes saß und weinte. Gimli fasste einen fundamentalen
Entschluss. Blitzschnell hob er die Dose vom Boden und ließ sie in den Tiefen
seines grauen Gewandes verschwinden. Dann drehte er sich um und verließ wortlos
das Zimmer. Mit einem leisen »Plopp« fiel die Tür in das elektronische Schloss.
Der Bärtige betrat den Raum und schaute sich um. »Wo ist Gimli?«,
fragte er knapp, während er seine Aktentasche in die Ecke warf.
Pechmann, der gerade am Computer saß, hörte nur mit einem Ohr hin.
»Den hab ich mit einer wichtigen Aufgabe betraut. Einer sehr wichtigen«, schob
er noch hinterher und lächelte dabei.
Der Bärtige verzichtete darauf, sich die merkwürdige Andeutung
erklären zu lassen. Es gab weiß Gott Wichtigeres zu tun. »Unseren Propheten
gibt es nicht mehr«, sagte er, so als ob ein Waschmittel im Supermarkt gerade
vergriffen sei. »Wie sieht es mit dem Verpacken aus, liegen wir in der Zeit?«
Pechmann lächelte noch immer, nahm seinen Blick aber nicht vom
Bildschirm. »Wir liegen gut in der Zeit. Im Prinzip sind die Schlitzaugen fast
fertig. Ich schätze, wir können in spätestens einer Stunde zu Ausgang Nummer
vier aufbrechen.«
Der Bärtige setzte sich auf einen Stuhl am Tisch und dachte kurz
über die Situation nach. Es gab noch andere unerledigte Aufgaben. Prüfend
blickte er Leonhard Pechmann an. »Was ist mit der Sache Rosenbauer?«, fragte er
mit schneidender Stimme.
»Bin gerade dabei, alles zu erledigen«, erklärte ihm Leonhard
Pechmann und drehte sich lässig auf seinem Bürostuhl zu ihm um. Er hattte alles
im Griff. Es gab für sein Gegenüber keinen Grund, in sinnlosen Stress zu
verfallen.
Der Bärtige runzelte die Stirn. Was sollte das schon wieder heißen?
Dann müsste der Mediziner im Moment doch Leichen beseitigen?
Pechmann sah den aufkeimenden Ärger des Bärtigen und beschloss, ihm
lieber reinen Wein einzuschenken. »Gimli erledigt die Sache. Die und sich
selbst. Drei Fliegen mit einem Schlag. Da muss erst einmal jemand draufkommen,
oder?« Beifallheischend schaute er den Bärtigen an.
Der hatte seine schlanken Hände flach vor sich auf den Tisch gelegt
und konnte nicht glauben, was er da hörte. »Das ist nicht wahr, oder?«, stieß
er aus. Aber er kannte die Antwort. Dieser verdammte Idiot. Er hatte gewusst,
dass der überhebliche Sack nicht den Mumm dafür besitzen würde. Später
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