Blutfeuer
ohne Stollenplan. Und den gibt’s für diesen Berg
nicht.«
Als Herbert Müller geendet hatte, herrschte allseits bedrücktes
Schweigen. Auf gut Deutsch hieß das also, dass nur die Verbrecher sich da unten
auskannten. Pechmann und seine Helfershelfer. Haderlein raufte sich die Haare
und blickte hilfesuchend zu Kurt Motschenbacher, dem Einsatzleiter vom SEK . Doch auch der versuchte erst einmal
zu verdauen, was er da gerade erfahren hatte. Das war nicht gut, das war gar
nicht gut. Kein GPS , kein Handy,
kein Funk. Das hieß, sie konnten einen Großteil ihrer Hightechausrüstung gleich
vergessen.
»Vielleicht sollten wir wie im Mittelalter mit Schildern und
Schwertern reingehen«, meinte er sarkastisch. »Das scheint mir Erfolg
versprechender.«
Haderlein schaute ihn an. Der sonst so forsche Motschenbacher hatte
Bedenken? Das war kein gutes Zeichen.
Gerlinde Rosenbauer drückte ihre Tochter an sich und hielt den Atem
an. Nur fünf Meter entfernt stand der Bärtige mit einer Waffe in der Hand,
blickte in ihre Richtung und horchte in die Stille. Mit dem Licht der Stollenbeleuchtung
im Rücken sah er wie ein Racheengel aus. Gimli hatte sich wie ein grauer Stein
auf den Boden gekauert, seine Hand an das viel zu große, rostige Messer in
seinem Ledergürtel gelegt. Doch der Bärtige hatte sie nicht gesehen. Nach
schier endlosen Sekunden drehte er sich plötzlich um und lief mit schnellen
Schritten davon.
Niemand wagte sich zu rühren. Nach einer Minute stand Gimli auf und
sagte mit seiner schnarrenden Stimme: »Mann weg. Gehen.« Ohne eine Antwort
abzuwarten, stapfte er in das Dunkel des Ganges, der vor ihnen lag. Theresa
nahm ihre Mutter bei der Hand und zerrte sie mit sich in die Düsternis.
Der Zwerg, der immer so unbeholfen gewirkt hatte, legte jetzt ein
beachtliches Tempo vor. Der Stollen, durch den sie sich bewegten, war niedrig.
Gimli und Theresa konnten ohne Probleme aufrecht laufen, für Gerlinde
Rosenbauer war das weitaus schwieriger. Als Kind hatte sie hier noch
interessiert zugeschaut, wie der Spritzbeton aufgetragen wurde. Über vierzig
Zentimeter waren an Decken und Wänden angebracht worden. Zumindest in den
wichtigsten Teilen des Stollensystems. Ihr Vater hatte das in den siebziger
Jahren angeordnet. Unter weitestgehender Geheimhaltung war hier sein privates
unterirdisches Reich errichtet worden. Wofür er es vorgesehen hatte, hatte er
niemandem erklärt. Und seiner Tochter schon gar nicht. Sie durfte hier unten
nur ab und zu spielen, wenn die Installateure aus Österreich da waren. Aber das
war schon eine Ewigkeit her, Gimli kannte sich hier unten bestimmt wesentlich
besser aus.
»Autsch!« Wieder war sie an der tief hängenden Tunneldecke mit ihrem
Kopf angestoßen. Blut tropfte auf ihre Hand, während der heruntergerieselte
Kies des seinerzeit ausgehärteten Spritzbetons unter ihren Schritten knirschte.
Plötzlich standen sie vor einer schulterhohen Holztür, die der Zwerg mit
ungeahnter Kraft aufschwang. Während er in seiner kleinen Behausung
herumwühlte, schaute Gerlinde vom Gang aus zu. Theresa hingegen hatte sich
furchtlos hineingewagt und bestaunte die vielen alten Sachen, die in den
Regalen rings um Gimlis Bett lagen. Hier sah es aus wie in dem Buch über die
alten Ritter, das sie vor Kurzem erst vorgelesen bekommen hatte. Das genaue
Abbild einer mittelalterlichen Waffenkammer. Theresa konnte Schwerter aller
Größen, halb zerfallene Harnische und einen alten Schild entdecken. Gimli
packte mehrere große, fremdartig aussehende Äxte mit langen Stielen in seinen
grünen Rucksack, dann kramte er eine alte Grubenlampe hervor, die noch mit Öl
betrieben werden musste. Gerade als er fertig zu sein schien, traute sich auch
Theresas Mutter in das kleine Zimmer mit der halbrunden Decke. In der Mitte des
einfachen, aber sauberen Raumes setzte sie sich staunend auf den Boden.
»Hier hast du gewohnt, Gimli?«, fragte sie erschüttert. Sie kannte
den Zwerg schon so lange als Mitglied der unterirdischen Gesellschaft und hatte
doch nie gewusst, wo er eigentlich hauste. Das also war Gimlis Reich.
Doch der hatte wenig übrig für ihre späte Reue. Er hatte alles
beisammen, was er brauchte. »Gehen müssen«, schnarrte er und schnallte sich den
schweren Rucksack mühelos auf den krummen Rücken, bevor er einen völlig
verrosteten alten Helm aus Eisen aufsetzte. Gerlinde Rosenbauer schreckte aus
ihren Gedanken auf und ging ebenfalls gebückt zur Tür. Neben ihr blieb sie einen
Moment stehen und beugte
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