Blutfeuer
Christian Rosenbauer hinter der halbrunden Frontscheibe ein kleines,
wetterfestes Navigationsgerät. Zum ersten Mal seit zwei Tagen huschte so etwas
wie ein Lächeln über sein Gesicht.
»Der ist für dich, falls du plötzlich von hier verschwinden musst«,
erklärte ihm der Gutshofbesitzer feixend. »Kannst du damit umgehen?«, schob er
anzüglich hinterher.
»Blöde Frage«, lachte Rosenbauer jetzt laut und nahm ihm den
Schlüssel aus der Hand. Kommentarlos setzte er sich auf den Roller und
startete. Er gab Gas, der lockere Kies spritzte hinter ihm weg, und er drehte
eine flotte Runde an der Gutshofmauer entlang. Er grinste immer noch, als er
das Gefährt wieder an seinem ursprünglichen Platz abstellte.
»Okay, Christian«, sagte Pechmann nun wieder ernster. »Der Tank
reicht für circa zweihundertfünfzig Kilometer, das Navi ist mit meinem Hof hier
als Heimatadresse eingestellt. Du findest also immer zurück.«
»Wo sind wir überhaupt?«, fragte Rosenbauer, dem jetzt erst
aufgegangen war, dass er davon keine Ahnung hatte.
»Musst du nicht wissen«, schmunzelte Pechmann. »Jedenfalls ziemlich
weit oben im Wald. Draußen vor dem Tor geht’s rechts die Straße runter nach
Bamberg. Alles Weitere erzählt dir dein Navi.«
Er zog ein kleines schwarzes Kästchen aus der Jacke und reichte es
ihm. »Damit geht das Hoftor auf, es schließt automatisch. So, alles klar,
Alter? Dann forsche mal«, schloss Leonhard Pechmann grinsend seine Erklärungen.
Dr. Christian Rosenbauer nahm den Riesen in den Arm. »Vielen Dank,
Leo«, sagte er mit tränenerstickter Stimme.
Pechmann lächelte nur kurz, tippte sich lässig mit zwei Fingern an
die Stirn und stieg in seinen Kombi. Zwei Minuten später war Dr. Christian
Rosenbauer wieder allein auf dem großen Hof. Er ging in die Scheune und schloss
die Tür hinter sich. Dann begab er sich zu der Pritsche, auf der er geschlafen
hatte, und kramte die Jacke hervor, mit der er angekommen war. Er leerte die
Taschen und sortierte den Inhalt vor sich auf dem Tisch. Gott sei Dank hatte er
alles in der Hektik noch schnell in die geliehene Jacke gesteckt: einen iPod,
ein paar Notizzettel, Tempotaschentücher und einen titanfarbenen Memorystick.
Dazu noch eine Plastikdose mit exakt fünfzig zitronengelben Tabletten.
»Yellowstone« stand deutlich und fett auf dem Papieraufkleber.
Rosenbauer ließ sich in die Tiefen des anatomisch geformten
Bürostuhls des Computertisches fallen und dachte nach. Erst würde er eine
Bestandsliste der Laboreinrichtung anfertigen, dann konnte er mit seiner Arbeit
anfangen. Aber früher oder später würde er eine Blutprobe von den Toten in
Erlangen brauchen. Besser wäre natürlich frisches Blut, viel besser, aber man
konnte eben nicht alles haben. Dann erschienen wieder die Bilder seiner kleinen
Tochter Theresa und seiner toten Frau vor seinem geistigen Auge, und seine
Gefühle drohten ihn zu übermannen. Entschlossen schaltete er den Computer ein.
*
Die Sachertorte war verspeist, und die beiden Kollegen machten sich
in launiger Stimmung auf den Weg in Richtung Kühlraum, um die ungewöhnliche
Leiche zu begutachten. Sie gingen an der langen Wand mit den
Edelstahlschubfächern vorbei, bis Dr. Hofer am Ende eine Liege herauszog.
Erstaunt hob er die Augenbrauen. Die Edelstahlliege war leer. Verwirrt zog er
nacheinander alle anderen Leichen hervor und prüfte die restlichen leeren
Kästen. Nichts. Kein Sigismund Ludwig.
Ratlos schaute er Vincent Lacroix an. »Sie werden es nicht glauben,
werter Kollege, aber meine Leiche ist verschwunden.«
Haderlein stand nachdenklich am Landrover gelehnt, als Lagerfeld zu
ihm trat.
»So, Huppendorfer übernimmt jetzt hier und passt auf die
Spurensicherung auf. Die Fahndung nach der Familie Rosenbauer ist auch
rausgegangen. Nach dem mysteriösen Kind lass ich nicht suchen, die halten uns
sonst alle noch für blöd. Wir könnten uns aber derweil noch amal um die Spinner
auf dem Veitsberg kümmern, Franz, oder?«
Auffordernd stupste er seinen älteren Kollegen in die Seite, doch
Haderlein grübelte noch immer über das im Keller verschwundene hässliche Kind.
Die Sache war ihm irgendwie unheimlich. Beide hatten sie die Schritte auf der
Treppe und im Keller gehört, aber niemand war zu sehen gewesen. Das ganze Haus
war leer. Keine Spur von den Rosenbauers. Ein Anruf in der Schule der Tochter
hatte zudem ergeben, dass Theresa dort seit gestern nicht mehr erschienen war.
»Wir fahren jetzt zuerst mal in die Firma von
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