Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
nichts, was ich bereuen müsste.«
Er legte auf. Lucy reichte Jenna das Mobiltelefon. »Möchtest du jemanden anrufen? Es ist völlig normal, wenn du mit jemandem reden willst. Benutze einfach mein Telefon, dann brauchst du dir keine Gedanken darüber zu machen, dass du mitgeschnitten wirst.«
Jenna antwortete nicht. Sie starrte geradeaus in den Schnee, der im Licht der Scheinwerfer wirbelte. Dann besah sie ihre Hände und verzog die Stirn, als seien die Hände noch immer blutbeschmiert, obwohl die Sanitäter sie vor Ort gesäubert hatten. Dann starrte sie auf Lucy. Dann wieder in den Schnee hinaus.
»Du hast auch einen Mann getötet, richtig?«
Lucy wusste, dass Jenna die Antwort kannte. Jeder, der nicht gerade auf dem Mond lebte, wusste, was im September geschehen war. Dafür hatte die landesweite Berichterstattung in den Medien gesorgt.
»Es wird besser. Glaube mir.«
»Ich weiß gar nicht mal, wie er hieß. Weißt du es?«
Jenna lockerte ihren Sicherheitsgurt und drehte sich zu Lucy.
»Nein. Aber wir werden es bald erfahren.«
Lucy wollte Jenna nicht sagen, dass es die Dinge nur schlimmer machte, wenn man den Namen kannte. Der Name gab dem Geist eine Stimme. Und Jenna würde so oder so von der Erinnerung heimgesucht werden, egal wie gerechtfertigt der Schuss gewesen war.
»Seine Lippen bewegten sich fortwährend. Als wollte er etwas sagen. Sie hörten nicht auf, sich zu bewegen.«
»Das kam wahrscheinlich davon, dass du auf seine Brust gedrückt hast.«
»Oh.« Jenna zog scharf den Atem ein. »Aber sie bewegten sich immer weiter.«
Lucy steuerte den Wagen auf den Parkplatz der Sheriffwache in Huntingdon. Es war mittlerweile so viel Schnee gefallen, dass die Hinterräder des Taurus leicht ins Schleudern gerieten, als sie in eine Parklücke bog und auf die Bremsen trat.
»Das ist es?« Jenna beugte sich nach vorn und inspizierte das zweieinhalbstöckige Gebäude aus unbehauenem Stein.
»Ist das dein Ernst? Das Ding gehört in ein Museum.«
»Wurde vor beinahe zweihundert Jahren erbaut.« Lucy ließ den Motor laufen, aber sie schaltete die Scheibenwischer aus. »Ist es dir recht, wenn wir das gleich erledigen?«
Jenna blickte hinauf zur obersten Etage.
»Was ist das da, ein Geschützturm? So wie an einer Burg?«
»Genau.« Lucy interessierte sich nicht für das antiquierte Aussehen der Sheriffwache. »Wenn du bis morgen warten willst, kein Thema. Du hast vierundzwanzig Stunden.«
»Ich fühle mich wie Robin Hood, der den verfluchten Sheriff von Nottingham aufsucht.«
»Jenna …«
Die Postbeamtin sah Lucy ins Gesicht.
»Ich bin eine umfassend ausgebildete und qualifizierte Bundesbeamtin, die einen Mann erschossen hat, als er das Feuer auf mich und meine Kollegin eröffnet hat. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Es geht mir gut. Ehrlich.«
Sie öffnete die Wagentür, stapfte die Stufen hinauf und war durch die doppelten Glastüren verschwunden, ehe Lucy noch etwas sagen konnte.
Im Inneren der Wache sah es aus wie in jeder regionalen Polizeidienststelle im ganzen Land: vollgerümpelt, unterbesetzt mit überarbeiteten Beamten und Zivilangestellten, grauer Allzweckteppichboden, ehemals weiße Akustikdeckenfliesen, die mit der Zeit ebenfalls grau geworden waren, und im Hintergrund das Brummen von Menschen, die redeten, umherliefen und einsatzbereit waren.
Ein Hilfssheriff führte sie vom Empfang in das Großraumbüro. Der Lärmpegel sackte automatisch ab, als sie eintraten und gemustert wurden. Zuerst sahen alle auf Jenna, dann richteten vor allem die älteren Bediensteten ihre Aufmerksamkeit auf Lucy, die sie von vor vier Jahren wiedererkannten. Der Hilfssheriff machte sich aus dem Staub und ließ die beiden Frauen neben einem leeren Sekretärinnenschreibtisch stehen.
»Wissen Sie, was es kostet, eine Meth-Küche zu säubern, vor allem jetzt, wo das Geld vom Bund nicht mehr fließt?«, bellte ein Mann, der in einem braunen Anzug in einem offenen Büro saß, das sich an den Sekretärinnenbereich anschloss. Die uniformierten Beamten gingen gar nicht darauf ein. Sie wussten, dass dieser Ausbruch nicht ihnen galt. Der Mann blieb an seinem Schreibtisch sitzen und winkte Lucy und Jenna zu sich herein, wie das ein König auf seinem Thron in alter Zeit getan haben mochte.
»Jack Zeller. Sheriff Zeller für Sie«, stellte er sich vor, während er kurz mit seiner Westernkrawatte wedelte. »Ein Tauschhandel ist wohl nicht drin? Einmal Gefahrengutreinigung gegen eine Tour durch die geheimen Aktenschränke
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