Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
waren, breitete sich im ganzen Haus eine fast hörbare Stille aus. Lucy ging durch das Erdgeschoss und fand Jenna, die in einem Arbeitszimmer neben dem Essbereich saß. Sie beugte sich über ihren Laptop und las etwas. Vor lauter Konzentration hatte sie die Stirn in Falten gelegt.
»Weiß du, dass noch ein weiteres Kind verschwunden ist?«, fragte Lucy.
»Sally, ich weiß. Und weißt du, dass sie auch ein Kind des Mörders von New Hope ist? So wie Darrin. Das kann kein Zufall sein. Ich sehe mir gerade noch einmal das Material von Bobs Ermordung an. Vielleicht finden wir etwas, mit dem wir dieses andere Mädchen identifizieren können. Es muss der Schlüssel zu dem Ganzen sein.«
»Und, hast du schon etwas herausbekommen?«
»Noch nicht. Ich habe die Datei an Taylor in Pittsburgh gemailt, in der Hoffnung, dass seine Hightech-Freunde etwas zaubern können. Allerdings habe ich bis jetzt noch keine Antwort bekommen.«
»Merkwürdig, dass es keine Vermisstenanzeige gibt. Sie ist so jung, irgendjemand müsste sie mittlerweile doch vermissen.«
Jenna sah von ihrem Computer auf.
»Es sei denn, ihre Mutter ist nicht in der Lage, sie als vermisst zu melden.« Sie legte eine kurze Pause ein, bevor sie weitersprach. »Ich weiß, dass du das nicht gerne hören wirst, aber nehmen wir einmal an, der Mörder von New Hope ist gar nicht tot. Oder zumindest sein Partner ist noch am Leben. Was, wenn die Mutter dieses Mädchens in seiner Gewalt ist?«
»Ich dachte, du glaubst, Adam Caine stecke hinter dem Ganzen. Er kann unmöglich der Mörder sein. Er war beim ersten uns bekannten Fall noch ein Säugling.«
»Vielleicht arbeitet er mit ihm zusammen … nein, das ergibt keinen Sinn«, unterbrach Jenna sich selbst. Lucy war schon aufgefallen, dass sie das oft tat.
»Er würde sich nie mit dem Mann zusammentun, der seine Mutter umgebracht hat. Oder der veranlasst hat, dass seine Mutter umgebracht wurde. Was auch immer.«
Sie atmete frustriert aus.
»Keine Ahnung. Das ergibt alles keinen Sinn. Aber diese ganzen Verbindungen können kein Zufall sein.«
»Bleib dran. Ich werde nach Karen sehen.«
Jenna widmete sich umgehend wieder ihrem Computer, was Lucy vermuten ließ, dass die jüngere Kollegin froh war, dass Lucy die schwierigere Aufgabe zugefallen war. Auf gewisse Weise hatte sie damit recht. Das Warten war immer am schwierigsten.
Dieses Mal trug Karen grau. Die Farbe stand ihr nicht. Sie sah darin noch unnahbarer aus als in Weiß und schien sich in dem Nebel vor ihren Schlafzimmerfenstern geradezu aufzulösen. Lucy fragte sich, ob sie den Raum seit dem gestrigen Tag überhaupt verlassen hatte.
»Haben Sie etwas gegessen? Soll ich Ihnen etwas bringen?«
Karen schüttelte den Kopf.
»Olivia hat mich vor kurzem genötigt, Eier zu essen. Zumindest nehme ich an, dass es Eier waren. Ich habe sie nicht richtig geschmeckt, sondern einfach aufgegessen, bis Olivia zufrieden war.«
»Sie müssen besser auf sich aufpassen.«
»Ich muss auf meine Tochter aufpassen.« Sie atmete langsam ein. »Besser, als ich auf meinen Sohn aufgepasst habe.«
Vergangenheitsform. Nie ein gutes Zeichen.
»Sie dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.«
»Hoffnung?« Ihre Stimme scheiterte an der letzten Silbe, als sei Karen das Wort fremd.
»Ja. Hoffnung.« Lucy setzte sich Karen gegenüber. Ihre Knie berührten sich beinahe. »Was Sie durchgemacht haben, was Sie überlebt haben – dafür braucht man eine Kraft, wie sie nur wenige Menschen haben. Ich glaube, dass Sie das vergessen haben. Sie haben vergessen, dass Sie diese Kraft in sich tragen. Sie müssen sie wiederfinden, Karen. Ihren beiden Kindern zuliebe.«
Karen schüttelte den Kopf. Sie wollte Lucys Worte nicht an sich heranlassen.
»Ich bin nicht wie Sie. Augen zu und durch, das kann ich einfach nicht. Die Furcht erstickt mich. Ich bekomme überhaupt nur dann etwas Luft, wenn ich mich ergebe. Aber dieses bisschen Luft reicht nicht aus, um es mit anderen zu teilen.«
»Sind Sie sich da sicher? Wenn das stimmt, dann haben Sie ihre beiden Kinder jetzt schon verloren. Wenn Darrin zurückkommt, wird er Sie brauchen. Und Olivia braucht Sie jetzt.«
»Sie brauchen mich nicht. Sie haben mich nie gebraucht. Ich bin nur eine Last für sie. Ich bin nicht stark. Ich bin nicht wie Sie.«
»Kommen Sie schon, Karen. Sie haben überlebt. Sie wollen das vergessen, weil Sie dann auch alles andere, was Ihnen zugestoßen ist, vergessen können. Aber wenn Sie diesen Teil von sich verleugnen, bleibt gar
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