Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
merkte, dass er unter Zeitdruck stand. Er schien so nett, und ich wollte ihn nicht aufhalten, also sagte ich, dass ich im Wagen warten würde, und bat ihn, Hilfe zu verständigen. Er war einverstanden, schlug aber vor, dass wir mein Auto lieber von der Straße schieben sollten, damit in der Dunkelheit niemand dagegenfahren würde, also gingen wir beide ans Heck, um zu schieben, und dann …«
Der lange Wortschwall brach plötzlich ab. Colleen schnappte nach Luft. Mit den Händen umklammerte sie ihre Knie, als müsse sie sich an ihnen festhalten.
»Er versetzte mir einen Schlag mit einem Elektroschocker. Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Dunkeln, hinten im Laderaum seines Lasters. Ich merkte, dass wir fuhren, ich spürte die Vibration unter mir, als läge ich direkt über der Straße. Es war unheimlich laut, aber ich konnte überhaupt nichts sehen. Meine Hände waren mit Kabelbindern gefesselt, es tat furchtbar weh.« Sie atmete tief ein. »Dann fuhr er von der Straße ab, kam nach hinten und …«
»Er vergewaltigte Sie?«, fragte Jenna trotz Lucys warnenden Stirnrunzelns. Himmel noch mal, sie würden das nie vor Gericht verwenden müssen und ihnen rannte die Zeit davon. Colleen nickte.
»Immer wieder. Die ganze Nacht lang. Und …« Sie starrte wieder ins Leere. »Andere Dinge.« Dann straffte sie ihre Schultern und fuhr fort. »Aber schließlich konnte ich ihn austricksen. Er dachte, ich sei bewusstlos und ging für eine Weile weg, ich weiß nicht, für wie lang. Ich war jedenfalls bereit und wartete, dass er zurückkäme. Ich hatte diese Kabelbinder aufbrechen können, Martin hatte mir einmal gezeigt, wie das geht. Ich wartete neben der Ladetür, und als er zurückkam und nach hinten durchging – er dachte, ich sei noch immer am hinteren Ende des Laderaums – sprang ich nach draußen, knallte die Tür zu und rannte davon. Er hatte neben einer Raststätte geparkt, in der Nähe des Stützpunktes. Das war ein Lokal mit ein paar Hinterzimmern, wo die Jungs manchmal Dampf abließen, mit Prostituierten, Sie wissen, was ich meine. Und ich war nackt, halb durchgedreht und der Inhaber rief die Militärpolizei an und nicht den Sheriff. Als die Militärpolizei eintraf, war der Laster schon lang auf und davon. Sie begleiteten mich zu meinem Auto. Der Reifen war gewechselt worden. Na ja, deshalb …« Colleen zuckte mit den Schultern.
»Sie sagten zu mir, wenn ich einsam sei, weil Martin zu viele Manöverübungen hatte, oder wenn ich versuchen wollte, einen One-Night-Stand oder eine Affäre zu verheimlichen, dann sollte ich mir etwas Besseres einfallen lassen. Aus Gefälligkeit Martin gegenüber, um seine Laufbahn nicht zu gefährden, legten sie den Fall zu den Akten. Sie sagten sogar, ich solle mich glücklich schätzen, dass sie davon Abstand nahmen, mich wegen einer Falschmeldung anzuzeigen.«
Jenna konnte ihr die Bitterkeit in der Stimme nicht verübeln. Sie würde spitze Nägel speien, wenn man ihr so etwas antun würde.
»Konnten Sie den Angreifer sehen?«
»Ja, ein bisschen. Er trug eine Baseballmütze und einen dichten Vollbart. Dunkle Brillengläser, trotz der Nacht. Meine Beschreibung war unbrauchbar. Es hätte jeder sein können.«
»Sind Sie ins Krankenhaus gegangen und haben sich untersuchen lassen?«
Colleen warf ihr einen stechenden Blick zu, den ersten klaren Blick, seit sie begonnen hatte, ihre Geschichte zu erzählen.
»Ich bin Krankenschwester. Natürlich habe ich mich untersuchen lassen. Ich habe sogar mit dem Bezirksstaatsanwalt gesprochen, aber niemand wollte den Fall verfolgen. Die Zuständigkeitsbereiche überschnitten sich zu sehr. Der Laster hatte auf Armeegelände gestanden, aber die Armee wollte damit nichts zu tun haben. Und außerdem …« Sie zuckte erneut mit den Achseln. »Ohne Beweise konnte man ohnehin nichts unternehmen.«
»Es tut mir so leid, dass Sie das durchmachen mussten.« Lucy nickte Jenna zu. Sie hatte endlich verstanden, worauf Jenna hinauswollte.
»Ein Gutes hatte die ganze Geschichte. In der Notaufnahme machten sie einen Schwangerschaftstest. Sie wollten mir die ›Pille danach‹ erst geben, wenn eine Schwangerschaft ausgeschlossen war. Und so habe ich von Marty erfahren.«
Jenna setzte sich auf.
»Marty ist also nicht das Kind des Vergewaltigers?«
»Nein. Er ist Martins Sohn. Durch und durch.« Colleen sah die beiden an. »Wozu wollen Sie das wissen? Ich meine, mein Fall hat doch etwa nichts damit zu tun, was hier oder was Karen Harding passiert ist? Er
Weitere Kostenlose Bücher