Blutgeld
Hoffman.
Ramón zog ein zerknittertes Blatt aus seiner Brieftasche und gab es Hoffman. Es war ein einfacher, aus zwei Sätzen bestehender Beileidsbrief, in dem die Verfasserin ihre Trauer über den Tod seiner Frau ausdrückte. Sie schrieb, dass sie verstehen könne, wie es ihm gehe, weil sie selber ihre beiden Eltern verloren habe. Der Brief war mit «Lina Alwan» unterschrieben. Es stand kein Absender drauf. Hoffman schrieb sich den Namen in ein Notizbuch und gab Ramón den Brief zurück.
«Danke, Sir», sagte der junge Mann.
«Einen Moment. Wie kann ich Sie erreichen, wenn ich irgendwas herausbekomme?»
«Ich habe kein Telefon, Sir. Und auch keine Adresse. Es tut mir leid.»
«Und wie wollen wir miteinander in Verbindung bleiben?»
«Ich werde anrufen, Sir.»
Hoffman nickte bloß, ohne zu ahnen, dass dies das letzte Mal sein würde, dass er den kleinen Mann mit den schlechten Zähnen sah. «Lassen Sie mir ein paar Tage Zeit, okay? Und ich verspreche Ihnen nichts. Ist das klar?»
«Danke, Sir», wiederholte Ramón. Er war immer noch ganz euphorisch.
Genug!
Hoffman legte dem Filipino die Hand auf die Schulter und steuerte ihn zur Tür. Als sie am Fenster vorbeigingen, sah Hoffman, dass die beiden Männer in den Anzügen immer noch auf der anderen Straßenseite standen. Jetzt blickten beide zum Gebäude hoch. «Wer zum Teufel sind die?», murmelte Hoffman vor sich hin. Ramón Pintas Blick folgte Hoffmans hinunter auf die Straße.
«Oh, Sir!», sagte er mit scharfem Ton und griff nach Hoffmans Arm. «Die kenne ich.» Er zeigte auf die beiden Männer. Seine Hand zitterte.
«Wer sind die?», wiederholte Hoffman und betrachtete die beiden Männer durch die getönte Scheibe hindurch.
«Sie arbeiten für Mr. Hammud.»
«Was tun die hier?», fragte Hoffman. Aber die Antwort kannte er schon.
«Ich glaube, sie verfolgen mich, Sir.»
Hoffman schüttelte den Kopf. «Mist», sagte er. Jetzt würde er wirklich etwas unternehmen müssen.
«Ich habe Angst», flüsterte Pinta.
«Hören Sie», sagte Hoffman. Der Klang seiner Stimme hatte sich subtil verändert, als hätte er in einen anderen Gang geschaltet. «Es gibt keinen Grund zur Sorge. Die können nicht in diese Fenster hineinsehen, wissen also auch nicht, dass Sie bei mir waren. Es gibt noch eine Menge andere Büros in diesem Gebäude. Im obersten Stock ist ein Zahnarzt und unter ihm ein Rechtsanwalt. Wenn Sie jemand fragt, dann waren Sie bei einem von den beiden.»
«Bitte …», sagte der Filipino.
«Okay.» Er legte Pinta wieder die Hand auf die Schulter. «Und jetzt tun Sie genau das, was ich Ihnen sage. Gehen sie die Treppe hinunter ins Untergeschoss. Nehmen Sie die Treppe, nicht den Aufzug. Unten kommen Sie zu einer Waschküche, die von diesem Gebäude und dem nebenan gemeinsam benutzt wird. Gehen Sie durch die Waschküche und dann durch das Treppenhaus hoch ins Foyer des Nachbargebäudes. Der Eingang geht zur Brook Street raus. Die sehen Sie nicht, wenn Sie das Gebäude verlassen. Haben Sie verstanden?»
«Ja, Sir.» Aber er rührte sich nicht, immer noch starr vor Angst.
«Und jetzt gehen Sie», sagte Hoffman und schob ihn zur Tür hinaus. «Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe, und Ihnen wird nichts passieren. Rufen Sie mich in ein paar Tagen an. Ich werde Erkundigungen über Hammud einholen, und wenn ich irgendwas finde, dann gehe ich zur Polizei.»
Pinta nickte. Er hatte Tränen in den Augen. Er tat ein paar Schritte und blieb dann im Gang stehen, direkt vor Hoffmans Tür.
«Gehen Sie!», wiederholte Hoffman. «Los!» Er machte die Tür zu und öffnete sie dann wieder einen Spalt, um zu sehen, ob Pinta seine Anweisungen befolgte. Der kleine Mann verschwand die Treppe hinunter.
Hoffman ging zum Fenster zurück und beobachtete die beiden Männer, die immer noch mit dummen Mienen hochstarrten. Sie hatten das nichtssagende, muskulöse Aussehen von Leibwächtern. Wer zum Teufel war Nassir Hammud?, fragte er sich. Es war nicht nur, weil er es dem Filipino versprochen hatte, er wollte es wirklich wissen. Erst als Hoffman zu seinem Sessel zurückkehrte, bemerkte er, dass das Foto von Pintas Frau immer noch umgedreht auf seinem Schreibtisch lag. Offenbar gehörte es jetzt ihm.
2
Am nächsten Morgen stand Sam Hoffman auf dem Bürgersteig gegenüber von Nassir Hammuds Zentrale, die Hände in den Taschen vergraben und die Haare streng zurückgekämmt. Er sah aus wie ein Bulle außer Dienst. Es regnete. Er setzte eine Sonnenbrille auf und ging auf das
Weitere Kostenlose Bücher