Blutgeld
der diese Kontrolle für den Bruchteil einer Sekunde verloren hatte, und er wollte sie so schnell wie möglich wiedergewinnen. Einige Augenblicke später schaltete er den Bildschirm seines Computers auf seinem Schreibtisch ein und begann, Anweisungen an seine Makler auf der ganzen Welt zu schicken. Er gab durch, welche Positionen sie beziehen sollten, wenn die Börsen am Montag wieder öffneten. Professor Sarkis verließ unauffällig das Büro und machte sich auf den Weg nach Berkshire, um aufzuräumen.
Selbst in der kleinen Welt des arabischen Londons war Nassir Hammud eine rätselhafte Gestalt. Unter Exil-Irakern flüsterte man sich zu, er habe als junger Mann in Bagdad einen Mann getötet, indem er ihm Nägel in den Kopf gehämmert habe. Aber das war lange her, und niemand konnte sich an die Einzelheiten erinnern. Heute besaß Nassir Hammud ein Stahlwerk in Spanien, eine Elektronikfirma in Lyon, ein Immobilienmaklerbüro in New York und eine Baugesellschaft in Turin. Er war reich – ungeheuer reich, milliardenschwer. Aber niemand schien besonders viel über ihn zu wissen, geschweige denn darüber, woher sein Geld kam.
Es kursierte das Gerücht, Mr. Hammud habe ein gutes Verhältnis zum Herrscher in Bagdad und dies sei die eigentliche Quelle seiner Reichtümer. Aber das behaupteten die Leute immer von reichen Arabern. Sie stellten sich vor, das Geld falle vom Himmel in die Hände des Herrschers und dann in die Hände seiner Freunde. Das machte sie neidisch – diese
jahal
, wie Mr. Hammud sie nannte – die Ignoranten, die Geld haben wollten, ohne es sich zu verdienen. Und so erfanden sie Geschichten über erfolgreiche Leute wie Mr. Hammud. Es war Neid, weiter nichts, sagte Mr. Hammud seinen Freunden. Purer Neid.
Wie so viele wohlhabende Männer aus dem Nahen Osten war Mr. Hammud mit der Absicht nach London gekommen, sich dort niederzulassen. Zu Hause in Bagdad war es schmutzig. Die Zeit der Kriege war vorüber, aber die politischen Führer dort trugen noch immer Militäruniformen, vergaben Aufträge, Heldengedichte über sie zu verfassen, und ließen ihren Feinden Nägel in die Köpfe hämmern. Mr. Hammud hatte genug davon gehabt. Und so war er in den Westen aufgebrochen, über Frankreich nach Belgien und dann in die Schweiz. Mit jedem Landeswechsel hatte sich das Geld auf seinem Bankkonto vervielfacht, und die Spuren seiner Herkunft waren verschwommener geworden.
Er war ein gepflegter, kompakter Mann, der mit zunehmendem Alter immer mehr Wert auf sein Äußeres legte. Eine seiner ersten Handlungen nach der Ankunft in London einige Jahre zuvor hatte darin bestanden, einen Schneider aufzusuchen und ein halbes Dutzend Anzüge zu bestellen, jeder mit tailliertem Jackett und Bundfaltenhose. In seiner neuen Garderobe sah er aus wie jeder andere wohlhabende Geschäftsmann, der sich auf internationalem Parkett bewegte. London, Paris, Hongkong, Berlin – was spielte es für eine Rolle? Mit einer guten Gesichtsbräune und in einem neuen Anzug sah jeder gleich aus.
Obwohl es hieß, dass er ein Dutzend oder noch mehr Tochtergesellschaften besaß, operierte Mr. Hammud über seine Holding, Coyote Investment. Die wenigen Personen, die von der Existenz dieser Firma wussten, vermuteten wahrscheinlich, es handele sich um einen amerikanischen Konzern, mit Hauptsitz in Houston oder Denver. Tatsächlich aber war die Firma in Europa registriert, und ihr Geld, sofern überhaupt jemand wusste, wo es herkam, schien aus dem Irak zu kommen. Araber bezeichnen diese Art vorsätzlicher Täuschung höflich als
taqqiyya
. Für Mr. Hammud war es zu einem Managementprinzip geworden.
Die Anlage der Büros von Coyote Investment auf Knightsbridge spiegelten Mr. Hammuds Leidenschaft für Geheimhaltung wider. Er hatte die Firma praktisch in zwei Teile geteilt: in einen öffentlichen und in einen geheimen, in dem die eigentliche Arbeit erledigt wurde. Der Besucher, der im fünften Stock den Aufzug verließ, fand zu seiner Rechten eine hellerleuchtete Empfangshalle mit einem großen Schild, auf dem COYOTE stand, darunter das wolfsähnliche Tier als Logo. Dies war der offizielle Eingang der Firma; hinter den Doppeltüren lagen die Büros der Abteilungsleiter der Personal- und Werbeabteilung. Diese Männer waren Briten. Mr. Hammud stattete sie mit Mitgliedschaften in Londoner Clubs und Bentley-Limousinen aus und zahlte ihnen stattliche Gehälter, damit sie ihn in der Londoner Finanzwelt repräsentierten. Sie wirkten mächtig,
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