Bluthochzeit in Prag
überzogen.
»Auf dieser Karte sehen Sie die Stationen der Geheimsender und die Ausweichstellen. Diese Karte wird nach unserer Sitzung hier im Zimmer verbrannt. Jeder von Ihnen, Genossen, wird jetzt einen Sender zugeteilt bekommen, seinen Sender, für den er leben und notfalls auch sterben muß. Am Tage X hat sich jeder zu seiner Station zu begeben, um die Stimme der Freiheit in alle Welt zu rufen! Die Kreismilitärkommandos sind bereits einsatzbereit, die Funkwagen stehen vollgetankt in den Garagen. Da die Armee offiziell nicht eingreifen darf, werden die Wagen von Ihnen, Genossen, übernommen. Lassen Sie mich jetzt zur Einteilung der Gruppen kommen.«
Es dauerte drei Stunden, bis alle fahrbaren Geheimsender verteilt waren. Karel Pilny bekam einen Wagen zugewiesen, der in Kralovice, nördlich von Pilsen, in einer Scheune auf ihn wartete. Ein Bäckerlastwagen, auf dem in großen Buchstaben stand: Das gute Brot von Bäcker Hroubik . Mit Pilny wurde der Techniker Mrázek eingeteilt, ein stiller, älterer Mann, der 1940 von den Deutschen in ein Arbeitslager gesperrt worden war und dort vier Zehen seines linken Fußes verlor. Er hatte sie sich im Steinbruch abgehackt, als die Haue von den Felsen rutschte.
»Jetzt sind wir eine unlösbare Gemeinschaft«, sagte Peterka und nahm die Karte von dem Wandhaken. »Die Feigheit eines einzelnen kann den Tod für uns alle bedeuten. Genossen, denkt immer daran!«
Er rollte die Karte zusammen, legte sie in einen Kupferkessel, den Jan Vacek heranschob, ließ ein Feuerzeug aufflammen und zündete die Karte an. Jemand öffnete das Fenster, damit der Rauch und der Brandgeruch abziehen konnten … und dann saßen sie stumm am Tisch, die Hände gefaltet, und starrten auf die Flammen im Kupferkessel. Als die Karte verbrannt war, zerrieb Peterka auch noch die Asche zu Staub und streute sie handweise aus dem Fenster. Der Wind nahm den leichten Staub mit sich und wirbelte ihn über die Dächer davon.
»Und wann wird der Tag X sein?« fragte Pilny. Das Fenster war wieder geschlossen worden. Peterka hob die Schultern.
»Auf diese Frage kann ich keine Antwort geben. Ich bin nur beauftragt, Sie einzuweihen. Wann es sein wird … das wird bei den Sowjets liegen. Hoffen wir, daß der Tag X nie kommen möge. Denn eines, Genossen, ist sicher: Niemand wird uns helfen! Wir werden das einsamste Volk der Welt sein.«
*
Im Keller der Geheimdruckerei wurde jetzt Tag und Nacht gearbeitet.
Zwei Schichten hatten die Studenten eingerichtet … wer am Tage in den Vorlesungen saß, brachte das Gehörte im Stenogramm mit und löste den Nachtdienst ab, der dann am Vormittag die Kollegs besuchte, ebenfalls stenographierte, nachmittags die Seminare und Repetitorien durchackerte, ein paar Stunden schlief und die Kollegen von der anderen Schicht informierte. So ging im ›rollenden Einsatz‹ das Studium weiter, ohne daß man das Wichtigste versäumte. Aus dem Keller holten jetzt Tag für Tag die Mittelsmänner die noch druckfeuchten Extrablätter ab und streuten sie unter das Volk.
Der Geheimdienst war machtlos. Ein paarmal noch versuchten Agenten, in den Studentenkreis einzudringen … es mißlang. Die jungen Beamten gaben sich auch keinerlei Mühe, ernsthaft in diesen Untergrund einzusickern. Ihr Herz schlug für die Studenten; was in den Flugblättern stand, gab genau das wieder, was auch sie empfanden … wozu also die ans Messer liefern, die den Mut hatten, die Wahrheit zu sagen?
Im Lager der Sowjets wurde man nervös. Major Krupkin telefonierte fast jede Stunde mit Moskau, las die Flugblätter vor, berichtete von unerhörten Forderungen der Intellektuellen.
Neuordnung des Warschauer Paktes. Freiheit der Persönlichkeit. Überprüfung der kommunistischen Lehre. Blicköffnung nach Westen. Wegfall der starren Politik. Umgestaltung des gesamten Systems.
»Nur Ruhe, Ruhe, Genosse Krupkin«, sagte in Moskau General Ignorow. »Wir wissen das alles. Laßt den Tschechen ihren Jubel! Gönnen Sie dem Westen für ein paar Wochen den perversen Genuß, an ein Zerbröckeln des Warschauer Paktes zu glauben.«
Valentina Kysaskaja spielte in diesen Tagen nicht nur die Hausfrau im verwilderten, einsamen Haus, büffelte nicht nur in den medizinischen Büchern und Aufzeichnungen, die Lucek jeden Tag mitbrachte, war nicht nur die wildeste und zärtlichste Geliebte, die je in den Armen eines Mannes gelegen hatte … In den langen Stunden, in denen sie allein in dem großen Haus war, untersuchte sie das alte Gebäude vom
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