Bluthochzeit in Prag
davor. »Ich bin Mitglied der ›Civilni obrana‹«, sagte er.
Plötzlich lag eine spürbare Spannung im Raum. Jeder von ihnen wußte, wem er jetzt gegenübersaß. Eines der bestgehütetsten Geheimnisse der Tschechoslowakei wurde jetzt enthüllt.
Die ›Civilni obrana‹ ist eine Untergrundorganisation, eine bis ins letzte Detail durchorganisierte Partisanenbewegung, die sofort in Tätigkeit treten soll, wenn vom Westen her eine Invasion die CSSR überrollt. Nicht wehrlos, wie zu Hitlers Zeiten, wollte ein kleines, tapferes Land sich ausliefern – aus dem Volk selbst würde neben der regulären Armee eine unsichtbare, aber allgegenwärtige Truppe aufstehen. Geheime Treibstofflager, versteckte Lebensmittelzentralen, fahrbare Sender, ein eigenes Telefonnetz, ein Depot mit Bargeld, Verbindungstruppen, die den Kontakt zu Armee und Polizei halten sollten, waren über das ganze Land verstreut. Der Aufbau der ›Civilni obrana‹ war ebenso geheim wie perfektioniert. In jedem Stadtbezirk saßen Vertrauensleute, selbst im kleinsten Dorf in der Tatra oder im Erzgebirge gab es einen Mann, der auf ein Zeichen hin untertauchen würde, um als Laus im Pelz des Besatzers zu wirken. Sie kannten sich untereinander nicht, es gab keine Listen, keine Namen … jeder verhandelte nur mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten. Aber einen Nachfolger hatte jeder … wenn einer verhaftet wurde, trat sofort der andere an. Es war wie bei der sagenhaften Hydra, der man einen Kopf abschlagen konnte, und zwei neue Köpfe wuchsen nach.
Diese Organisation, gedacht als Zermürbung der westlichen Truppen, als ein Widerstand, gegen den alle Schläge unwirksam sein würden wie ein Boxhieb gegen eine Gummiwand, war der geheime Stolz der Partei. Nun stand ein anscheinend maßgebendes Mitglied der ›Civilni obrana‹ in diesem abgeschlossenen Zimmer, ergriff einen Zeigestock, wie man ihn in den Schulen findet, und blickte ernst über die Köpfe der Rundfunkredakteure, Fernsehreporter und Funktechniker.
»Es ist nicht abzusehen«, sagte der Mann, der sich Peterka nannte, ein falscher Name, das wußte jeder im Zimmer, »wann die Sowjets ihre Manövertruppen wieder abziehen und ob sie es überhaupt tun. Bleiben sie im Land, so ist dieses Manöver eine Okkupation gewesen, dann hat man uns, die man in Moskau Freunde nennt, verraten. In diesem Falle tritt der Notstand ein. Es ist gleichgültig, Genossen, wer diesen Notstand provoziert. Wir haben unsere Organisation aufgebaut gegen die westdeutschen Imperialisten … aber wenn der Imperialismus aus dem Osten zu uns kommt, werden wir uns nicht scheuen, ihn ebenso zu bekämpfen. Wir werden unsere Freiheit verteidigen gegen jeden, der sie uns nehmen will! Ist das klar?«
Karel Pilny erhob sich. Alle Köpfe flogen zu ihm herum. Aha, der Pilny. Seit Wochen schreibt er Artikel unter verschiedenen Decknamen; er leugnet es zwar, wenn man ihn darauf anspricht, aber warum sollte er nicht leugnen? Weiß man so genau, wer heute noch ein Freund und morgen ein Spion ist? Der Geheimdienst ist überall, und hinter ihm steht das sowjetische KGB, dieses gnadenlose Riesentier, das alles frißt, was anderer Meinung ist als Moskau.
»Ich kann Ihnen berichten, Genosse Peterka«, sagte Pilny, »daß die Sowjets begonnen haben, einen dichten Agentenapparat über unser Land zu ziehen. Ich hatte selbst Gelegenheit, dies zu sehen. Wo und wie, fragen Sie mich bitte nicht. Aber ich frage Sie, und Sie haben ja genauere Informationen von der Parteispitze und der Armee: Wenn die russischen Truppen in unserem Lande bleiben, warum geschieht nichts?«
»Es wird etwas geschehen, Genossen.« Peterka wandte sich halb zur Wandkarte. »Jeder von Ihnen wird im Rahmen des Notstandsplanes eine Aufgabe zu erfüllen haben. Deshalb habe ich Sie hergerufen. Jedes Kreismilitärkommando besitzt fahrbare Rundfunksender, eingebaut in getarnte Fahrzeuge. Sie sind mit den modernsten elektronischen Geräten ausgerüstet, mit ausfahrbaren Sendemasten, mit hohen Frequenzen. Überall im Land sind Polizei, Miliz, Luftschutz und unsere Vertrauensleute mit Informationseinrichtungen ausgestattet, die auch unter den grausamsten Kriegsbedingungen, wie etwa einem Atomkrieg, funktionieren. Was die fahrbaren Notsender funken, kann in jedem Winkel des Landes aufgefangen und weitergeleitet werden. Es ist ein Netz, das nie zerreißbar ist.«
Peterka zeigte mit dem Stoß auf die Karte. Kleine rote Punkte waren darauf gemalt … eine Karte, wie mit Sommersprossen
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