Bluthochzeit in Prag
Keller bis unters Dach und fand einen sicheren Platz, wo sie ihr Funkgerät aufbauen konnte. Eine Dachkammer war es, gefüllt mit altem Gerümpel, mit Stühlen ohne Beine, Kartons und Kisten voll Holzwolle, in denen es raschelte. Hier nisteten Mäuse, fröhlich und ohne Scheu, denn seit Jahren war hier kein Mensch mehr heraufgekommen.
Valentina errichtete in dieser Kammer ihre Funkstation. Sie schichtete Kisten und Stühle, ein Bettgestell und eine Matratze, einen Kleiderschrank ohne Rückwand und zwei Nachttische wie eine Wand aufeinander, hinter der das kleine Klappfenster im Dach völlig verschwand. Hinter dieser Gerümpelwand, die nie jemand abreißen würde, setzte sie auf eine Kiste ihren Funkapparat, steckte die lange, dünne, federnde Antenne durch das Fenster und unternahm den ersten Versuch.
»Ich rufe Moskau! Moskau! Moskau!«
Moskau meldete sich sofort. Im Klartext, der bewies, wie aufgeregt Tschernowskij war.
»Wo sind Sie?« fragte er. »Um Himmels willen, Valentina, was ist mit Ihnen los?«
»Ich bin verliebt«, antwortete Valentina.
»Das ist kein Grund, das Vaterland zu verraten! Valentina, Sie machen sich für Ihr ganzes Leben unglücklich. Sie werden nie mehr nach Moskau zurückkommen können!«
»Ich weiß es, Andrej Mironowitsch –« funkte sie zurück. »Und mein Herz blutet auch.«
»Dann brechen Sie alles ab, und fliegen Sie sofort zu mir.«
»Ich kann es nicht. Ich habe mich entschieden. Zum erstenmal in meinem Leben liebe ich wirklich. Ich habe nicht gewußt, welch ein herrlich süßes Gift das ist.«
»Valentina! Sie wissen nicht, was Sie tun! Überlegen Sie sich die Konsequenzen. Ich werde gezwungen sein, Sie auf die Liquidationsliste zu setzen. Ich werde den Auftrag erteilen müssen, Sie, wo immer man sie auch trifft, unschädlich zu machen.«
»Ich weiß es, Andrej Mironowitsch.«
Wie ein in seinem engen Käfig eingesperrtes Raubtier hockte Tschernowskij später in seinem Zimmer und starrte gegen die kahle Wand. Und wie in einem Raubtier wuchs in ihm eine gnadenlose Wildheit.
Ich werde nach Prag kommen, dachte er.
Ich werde auftauchen wie Flamme und Schwert.
Ich werde unter diese Studenten fahren wie ein Blitz, der sie alle verkohlt. Ich werde sie in die Gefängnisse treiben, hinunter in die Keller, wo die dicken Mauern jeden Laut ersticken. Und ich werde sie einzeln fragen: Wo ist Miroslava Tichá? Wo verbirgt sie sich? Wer ist ihr Liebhaber? Oh, singen werden sie, die bärtigen Hähne. Man wird es ihnen beibringen auf die gute alte Art, so wie man in der Lubjanka das Singen lernt. Auch wenn man sie später stückweise aus dem Keller trägt … ich werde erfahren, wo Valentina ist!
Tschernowskij in Prag … wenn das einmal wahr wurde, fiel ein Teufel in diese Stadt ein.
*
Irena Dolgan und Valentina hatten Freundschaft geschlossen. Zuerst hatte es so ausgesehen, als wiederhole sich der Königinnenkampf der Nibelungen. Aber als Valentina zu Lucek zog und für Pilny keinerlei Gefahr mehr bestand, daß er der magnetischen Schönheit Valentinas erlag, vor allem aber, seit auch Irena und Pilny zusammenwohnten, kamen sich die beiden Mädchen näher.
Da Lucek noch immer Angst hatte, Valentina in die Öffentlichkeit zu lassen, besorgte Irena ihr all die kleinen Dinge, ohne die eine Frau nicht auskommen kann.
Auch Irena war jetzt oft allein. Pilny war dauernd unterwegs und sammelte Eindrücke von den in den Wäldern liegenden sowjetischen Manövertruppen. Er sprach mit Offizieren und Rotarmisten und fragte sie, warum sie noch hier seien.
»Wir wissen es nicht«, war immer die gleiche Antwort. »Wißt ihr es denn?«
Es war an einem Abend, an dem Lucek und Pilny im Druckereikeller die neue Nummer ihrer Zeitung vorbereiteten. Irena fuhr zu Valentina, damit sie nicht zu einsam war in dieser langen Nacht ohne Micha. Da auch sie Karel an die Politik abgeben mußte, hatte Irena volles Verständnis dafür, daß Valentina wie ein gerupftes Huhn herumlief.
»Es ist dunkel«, sagte sie, als sie nach dem Essen zusammen auf der Couch saßen. Im Fernsehen lief ein Varietéprogramm. Ein Clown jonglierte mit vier Wasserflaschen, deren Verschluß dabei aufging und den quietschenden Mann mit Wasser übergossen. Eingeblendete Lachsalven umdonnerten ihn. Valentina blickte weg und lehnte sich zurück. »Und es regnet. Wenn ich mir ein Kopftuch umbinde und den Mantelkragen hochschlage, erkennt mich keiner. Geh'n wir ins Kino.«
»Unmöglich! Wenn Micha –« Erschrocken sah Irena ihre neue
Weitere Kostenlose Bücher