Bluthochzeit in Prag
in ihrem Nacken. Sie drehte sich ein paarmal um, aber hinter ihr saß nur ein Liebespaar, das mit anderen Dingen beschäftigt war, als sie anzustarren.
»Komm jetzt schnell nach Hause«, sagte sie, als der Film abgelaufen war. Sie nahm Valentina an die Hand wie ein unartiges Kind und zog sie durch die träge hinausquellende Menschenmenge auf die Straße. »Wir nehmen wieder ein Taxi. Dort drüben stehen welche.«
Sie wollten gerade hinübergehen zum Taxistand, als ein großer Mann sich hinter sie stellte und seine Hände auf Valentinas und Irenas Schultern legte. Irena zuckte zusammen und fuhr herum, Valentina hob nur die dunklen Augenbrauen. Aber ihr schöner Mund wurde plötzlich schmal, die vollen Lippen verzogen sich zu dünnen, roten Streifen. Und wer in dieser Sekunde ihre Augen gesehen hätte, wäre erschrocken.
»Welch ein Zufall!« sagte der Mann hinter ihnen. Seine Hände blieben auf ihren Schultern liegen. Ein fester, harter Druck, Hände, die gewohnt waren, zuzupacken. »Wer hätte das gedacht? Das nennt man Glück.«
Irena Dolgan machte eine heftige Bewegung mit dem ganzen Körper, aber der Griff lockerte sich nicht. »Was fällt Ihnen ein?« zischte sie. »Wer sind Sie überhaupt? Lassen Sie uns los, oder ich rufe den nächsten Polizisten!« Sie nickte in die Richtung, wo ungefähr dreißig Meter weiter ein Polizist am Straßenrand stand und den abendlichen Verkehr beobachtete.
»Die Polizei? Wirklich, mein Täubchen?« Der große Mann lachte dunkel. »Sollen wir es einmal probieren? Es wird einen Auflauf geben, man wird einen Wagen schicken, und die restlichen Stunden der Nacht werdet ihr auf einer harten Pritsche verbringen. Ich werde zum Beispiel zu dem Polizisten sagen: Nehmt diese beiden fest. Die schwarze Katze kenne ich nicht … aber die blonde, die ist Studentin. War schon einmal verhaftet wegen Verteilung aufhetzerischer Schriften. Plötzlich wurde sie freigelassen. Keiner konnte das verstehen.« Das breite Gesicht des Mannes beugte sich zwischen Valentina und Irena vor. »Na, erkennen Sie mich jetzt?«
»Nein«, sagte Irena heiser. »Ich habe Sie nie gesehen.«
Valentina Kysaskaja bewies in dieser Situation ihre schon von Tschernowskij so gerühmte Kaltblütigkeit. Sie faßte die Hand des Mannes, grub ihre langen Fingernägel in die Handrücken und drückte sie dann weg.
»Verdammt!« knirschte der Mann. Er starrte auf die Kratzwunden und schüttelte seine Hand, als habe er sie verbrannt.
»Sie sind vom Geheimdienst?« fragte Valentina ohne sichtbare Erregung.
»Sie kluges Kind –«
»Was wollen Sie von uns? Was wirft man uns vor?«
»Das ist nicht auf der Straße zu verhandeln.« Der Mann blickte auf Irena und atmete heftiger. »Ich könnte jetzt mit einem Pfiff den ganzen Wenzelsplatz mobil machen«, sagte er dunkel. »Aber ich glaube, es ist in Ihrem Interesse, wenn wir alles Aufsehen vermeiden. Kommen Sie mit.«
»Sie verhaften uns?« Irenas Stimme stockte. Alle Möglichkeiten einer Flucht durchjagten ihren Kopf, aber sie fand keine, die ausführbar gewesen wäre. Was sie auch tat … zurück blieb immer Valentina. Man konnte zum Beispiel nach links wegrennen und Valentina zur anderen Seite. Dann mußte der Kerl sich entscheiden, wem er nachlaufen wollte. Und schneller würde er auf jeden Fall sein … er war groß, hatte lange Beine, und ein Schritt von ihm war so gut wie zwei Schritte von Irena.
Plötzlich wußte sie auch, woher sie den Mann kannte.
Der Morgen ihrer Verhaftung … Das Verhör, in dem man sie der Zusammenarbeit mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst beschuldigte … Die Stunden auf der Pritsche, hinter vergittertem Fenster … Und dann die unvermittelte Freilassung …
Dieser Mann war es, der ihre Zellentür aufgeschlossen und sie über unbekannte Treppen und Gänge in die Freiheit geführt hatte. Ohne Angabe von Gründen. Ohne ihr zu sagen, wem sie die plötzliche Freilassung verdankte.
»Ich habe nur gesagt: mitkommen!« Der Mann schob sich zwischen Valentina und Irena und faßte sie unter, als betrachtete er sie als seine Bräute. »Versuchen Sie keine Gegenwehr, es ist sinnlos. Ich habe eine Pfeife in der Tasche … ein Ton nur, und man wird Sie durch die Stadt jagen. Lassen Sie uns also gehen, als seien wir auf dem Wege zum Tanzen. Ich habe nur ein paar Fragen an Sie … weiter nichts.«
Von da ab gingen sie stumm im Gewühl der anderen Menschen über den langen Platz, bogen in die Vodickova ein, umgingen das Nationalmuseum und wurden durch
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