Bluthochzeit in Prag
knienden Toten.
Lucek trat vom Fenster zurück. Aus dem Schlafzimmer trug er zwei Kamelhaardecken ins Wohnzimmer und einen Stapel Zeitungen. Es waren vor allem die Parteizeitungen ›Rude Pravo‹, das Gewerkschaftsorgan ›Prace‹ und die Zeitung ›Zemeldelske Noviny‹.
Er warf alles neben den Toten auf den Teppich und winkte dem noch immer würgenden Pilny.
»Hilf mir. Wir müssen ihn einwickeln. Dann bringen wir ihn nach Kralupy in den Wald.«
Sie hoben den Toten auf die Couch, streckten ihn, was noch einfach war, denn die Leichenstarre war noch nicht eingetreten und machte den Geheimdienstmann noch nicht zu einem krummen Brett, betteten seinen aufgeschlagenen Kopf auf das blutdurchtränkte Kissen und breiteten die Kamelhaardecken auf dem Boden aus. Lucek faltete die Zeitungen auseinander, schichtete mehrere Lagen aufeinander und umwickelte den Schädel völlig. Dann hoben sie den Toten auf die Decken und rollten ihn darin ein. Bevor sie den Zipfel über dem Kopf verschnürten, sahen sie noch einmal auf das Zeitungsknäuel.
Rude Pravo .
Der Titel zog sich quer über die Stirn des zertrümmerten Schädels.
Darunter eine Balkenüberschrift: Dubcek sagt: Die Reformen werden durchgeführt.
Und dort, wo der Mund sein mußte, war eine Karikatur: Ein Windstoß aus Prag fegte Kossygin den Hut von den Haaren.
Lucek warf den Deckenzipfel herum.
»Los!« sagte er rauh. »Geh voraus, mach die Türen auf, hol den Aufzug nach oben und halte die Tür offen. Ich kann ihn allein wegschleifen.«
Pilny rannte aus dem Zimmer. Im Hausflur wartete er, bis der Aufzug kam, riß die Tür auf und lauschte nach unten. Das Haus war still. Die meisten Bewohner mußten morgens früh aus den Betten. Es waren Büroangestellte, Beamte, kleine Kaufleute und Meister in Handwerksbetrieben. Auch drei Huren wohnten im Haus … aber sie hatten gerade Kundschaft und verdienten sich ihre 100 Kronen.
»Alles frei!« rief Pilny, als er Lucek an der Wohnungstür sah. Mit drei großen Rucken schleifte Lucek das Bündel über den Flur zum Fahrstuhl und stieß es hinein. Dann rannte er zurück, löschte alles Licht im Appartement 34, schloß die Tür ab und warf den Schlüssel in den Briefkastenschlitz. Er war eine Fehlkonstruktion, wurde nie benutzt, denn in der Eingangshalle hingen ja in vier Reihen die Briefkästen.
Zwei Minuten später schoben Lucek und Pilny die Leiche auf den Rücksitz des Autos. Niemand sah sie, wie ausgestorben lag die Straße in der Nacht. Nur aus dem Fenster des Malers Stepan Havlicek im zweiten Stock tönte noch Musik und ab und zu ein seufzendes Quietschen. Der Künstler nahm Maß bei seinem Modell –
Nach einer Stunde Fahrt quer durch Prag, durch das Lichtermeer der Reklamen, unbeachtet auch von den Polizisten, die an den Kreuzungen standen, erreichten sie den Wald bei Kralupy.
Sie fuhren an einigen sowjetischen Lastwagenkolonnen vorbei, die ostwärts nach Teplice rasselten. Rotarmisten winkten ihnen zu, als sie die Kolonne überholten. Lucek winkte zurück und lachte gequält.
Später bogen sie auf eine Nebenstraße ab, fuhren langsamer auf der Waldstraße und suchten einen Querweg, der in das Dunkel der Buchen und Eiben führte. Sie fanden eine Schneise, angelegt zum Abtransport der gefällten Stämme, und rumpelten ihn entlang bis zum Ende. Hier lagen die am Vortag gefällten Bäume noch wild übereinander, riesige Berge abgeschlagener Äste bedeckten den Kahlschlag, zwei Traktoren mit dicken Ketten, mit denen die Stümpfe aus dem Boden gerissen wurden, standen abseits, gegen den Regen durch Planen geschützt, ein Gewirr von Wurzeln und Stubben begrenzte das leergeschlagene Stück gegen den Wald. Im fahlen Licht der Nacht sahen sie aus wie ein Heer von Verhungerten, die ihre dürren Arme klagend in den Himmel streckten.
Sie wuchteten die dicke Rolle auf die Schulter und gingen langsam über den Platz. »Hier!« sagte Lucek und blieb stehen. »Das ist gut. Hier wird man nie suchen.« Er stand vor einem Trichter, aus dem der Traktor einen der dicken Baumstümpfe gerissen hatte, eine Erdwunde, aufgebrochen wie ein Geschwür. Auf dem Grund stand das Regenwasser. Gelbbraun, lehmig.
Sie packten die Deckenrolle, stellten sich an das Loch und ließen Stanek in die Tiefe gleiten. Es platschte dumpf, als der Körper in das Grundwasser fiel, die Rolle bog sich. Stanek schob Kopf und Beine an den Wänden des Loches hoch, wie ein Taschenmesser klappte er zusammen.
Mit zwei Schaufeln, die unter den Abdeckplanen der
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