Bluthochzeit in Prag
erstarb dann ganz. Im hinteren Keller hielt man die Druckmaschine an.
SOS. Eine Faust hämmerte an die Tür.
»Wir sollten aufmachen«, sagte Pilny leise. »Wenn auch der Zeitplan nicht stimmt, – wissen wir, was draußen geschehen ist? Die Welt kann zusammengefallen sein … hier unten erfahren wir es nicht.«
»Es gibt ein Telefon hier.« Lucek schüttelte den Kopf. »Wenn etwas Umwälzendes geschehen ist, werden wir angerufen. Es gibt zehn Freunde, die unsere Telefonnummer kennen. Davon sind sieben heute auf ihren Zimmern.«
Das Hämmern an der Tür hörte nicht auf. Nun war es, als klopften vier Fäuste gegen das dicke Holz. Die Zeichen verschwammen, verwirrten sich, schlugen übereinander.
»Es sind mehrere.« Lucek winkte. Aus den anderen Kellern liefen die Studenten herbei. Sie hatten Eisenstangen in den Händen, biegsame Totschläger und dicke Knüppel. Lucek wischte sich über die Stirn. Kalter Schweiß perlte über seine Augen. »Freunde –« sagte er leise. »Wenn wir verraten worden sind, beißt die Zähne aufeinander, zieht die Schultern hoch und gebt keinen Laut von euch. Was sie auch mit uns machen … verschluckt jeden Schrei, und wenn ihr daran erstickt!« Er griff mit beiden Händen in die breiten, eisernen Riegel, die vor dreihundert Jahren ein Schmied in seiner Werkstatt, vielleicht unten an der Moldau, aus den glühenden Kohlen gezogen und auf dem Amboß in ihre Form geschlagen hatte. »Sind es nur ein paar Mann … dann drauf, werft die Stangen weg und lächelt. Lächelt! Lacht sie an! Nichts verwirrt mehr als ein Gefangener, der lacht. So, und jetzt –«
Er schob die Riegel mit einem Ruck zurück.
Die schwere Tür sprang auf. Als hätten sie sich dagegen geworfen, stürzten Valentina und Irena in den Keller. Lucek und Pilny, die der Tür am nächsten standen, fingen sie auf, sonst wären sie auf den Steinboden gefallen.
»Die Weiber!« schrie einer von hinten. »Natürlich! Und uns dampft die Hose vor Heldentum! Immer dasselbe!«
Die Studenten lachten. Es war wohltuend, dieses Lachen, es nahm den ungeheuren Druck weg, der auf allen Herzen gelegen hatte. Sie klemmten ihre Eisenstangen und Knüppel unter den Arm und verteilten sich wieder auf die Keller und an ihre Arbeit.
»Seid ihr verrückt?« schrie Lucek. Er schämte sich vor den anderen Freunden. Aber dann sah er Irena an und schwieg plötzlich. Auch Pilny, der sie aufgefangen hatte, krampfte sich das Herz zusammen. Wie Irrsinn flackerte es in Irenas großen, weit aufgerissenen blauen Augen. Sie warf die Arme um Pilnys Hals, preßte sich an ihn, und dann brach es aus ihr heraus, ein Schrei, grell und kaum noch menschenähnlich.
»Ich habe ihn getötet!« schrie sie. »Karel … ich habe ihn getötet! Mit meinen Händen! Ich habe einen Menschen getötet –«
Dann fiel sie in sich zusammen, hing an ihm, ihr Kopf sank zurück, als habe man die Nackenwirbel durchtrennt, und er trug sie von der Tür weg in den Keller, legte sie auf einen Tisch, von dem er mit den Ellenbogen alles, was darauf lag, wegfegte; knöpfte ihr das Kleid auf und rieb und massierte ihre Brust, rief ihren Namen, küßte sie immer und immer wieder und hörte nicht, was Valentina hinter ihm erzählte.
Sie sprach mit ruhiger Stimme, doch sie vermied es dabei, Lucek anzusehen. Was wird er tun, dachte sie. Wäre er ein Russe, würde er mich jetzt schlagen. Er würde mich durch die Keller prügeln, hin und zurück. Er würde mich Miststück nennen, Teufelsdreck, Satansbrut, Hurenweib … oh, man hat so schöne Ausdrücke in Rußland! Und selbst, wenn ich auf dem Boden vor ihm liege, seine Beine umfange, seine Schuhe küsse und um Gnade winsle, würde er mich treten wie einen stinkenden Hund. So wäre es in Rußland …
»Nur weil du ins Kino gehen wolltest …« sagte Lucek bitter.
Valentina hielt den Kopf gesenkt. »Ja –« Sie ließ die Arme hängen. »Schlag mich, Micha –«
»Warum? Was ändert das noch?« Lucek blickte auf Irena. Sie lag mit nackten Brüsten auf dem Tisch und Pilny bemühte sich, sie aus der Ohnmacht zurückzuholen. Er massierte ihr Herz, warf seine Jacke auf den Boden, riß sich den Schlips aus dem Kragen und klopfte die Wangen Irenas.
»Hilf mir, Micha«, keuchte er und sah Lucek aus bettelnden Kinderaugen an. »Du bist doch Mediziner. Sie hat ja kaum noch Puls … ihren Atem spürt man schon nicht mehr. Hast du denn gar nichts hier … keine Spritze, keine Tabletten …«
»Laß sie liegen und komm!« Lucek hob die Jacke Pilnys
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