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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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streckte sich, sein Kopf fiel auf die Brust Valentinas, Blut strömte aus der aufgeplatzten Kopfhaut und beschmutzte den rechten Schenkel der Kysaskaja.
    Einen Augenblick lag lähmende Stille in der kleinen Wohnung. Nur das hastige Atmen Irenas füllte den Raum.
    »Danke, Irenuschka«, sagte Valentina. Sie schob mit beiden Händen den schlaffen Körper des Mannes von sich, kroch unter ihm hervor und stieß ihn mit dem Gesicht in die Kissen. Dann beugte sie sich über ihn, betrachtete die klaffende Wunde, die eingeschlagene Schädeldecke und deckte ein Daunenkissen darüber.
    Irena wich zurück. Ihre Augen waren unnatürlich weit, die Fäuste hatte sie gegen den zitternden Mund gepreßt.
    »Er ist doch nicht …« stammelte sie. »Ich habe doch nur … mein Gott, mein Gott …«
    »Du hast ihm den Kopf zertrümmert.« Valentina sah an sich herunter. Das Blut an ihrem Schenkel gerann. Man mußte es abwaschen, man mußte den ganzen Körper baden, um den Geruch dieses Mannes, um die Beleidigungen seiner Hände abzuspülen. »Sieh ihn nicht an, Schwesterchen. Komm mit ins Badezimmer. Wir wollen diesen Tag abwaschen wie Staub …«
    Sie legte den Arm um Irenas zuckende Schulter, zog sie mit sich in das neben der Küche liegende Badezimmer, mischte kaltes und warmes Wasser, bis es eine angenehme Wärme hatte, stellte sich dann unter die Brause, hob die Arme, streckte den herrlichen Körper in die Strahlen und ließ das Blut von sich ablaufen.
    Als sei kein Toter im Raum zog sie sich wieder an, ging zum Spiegel, nahm den Lippenstift aus ihrer Handtasche und schminkte sich, und ihre Finger waren ruhig, als ziehe sie die Lippen nach für den Besuch eines Konzerts oder für die Lockung des Geliebten. Dann beugte sie sich über den Toten, griff in seine Hosentasche, zog den Türschlüssel heraus, griff in die andere Tasche und steckte die Pistole mit dem Schalldämpfer in ihren Mantel.
    »Gehen wir, Schwesterchen«, sagte sie erschreckend kalt.
    Sie schloß die Tür auf, schob Irena in den Treppenflur, knipste alle Lichter im Zimmer aus, zuletzt den Kronleuchter aus geschliffenem Glas und blickte, bevor das letzte Licht erlosch, noch einmal auf den Toten. Er kniete vor der Couch, den Kopf in die Kissen gewühlt, die Arme ausgebreitet auf den Polstern.
    Dann war Dunkelheit wie auf einer Bühne, wenn alle Scheinwerfer erlöschen und der Vorhang fällt.
    *
    Im Druckereikeller lief die zweite Seite der ›Ranni cervánky‹ durch die Maschine. Der Steinboden zitterte und bebte, als sei er die Decke eines rumorenden Vulkans. Lucek und Pilny saßen über dem Umbruch der vierten Seite, drei Studenten hockten auf Kisten vor den Handsatzkästen und schoben die Lettern in die Winkelhaken. Im vorderen Keller wurden schon andere gedruckte Flugblätter abgezählt und verpackt … gegen Mitternacht kamen die ersten Abholer. Die Konferenz von Cierna sollte morgen beginnen. Es war der 29. Juli 1968.
    Pilny hatte einen großen Artikel geschrieben. Wie der Schriftstellerverband in seinem flammenden Aufruf an die Regierung, so hatte auch Pilny in seinem Flugblatt die Wünsche und Sehnsüchte des Volkes, des kleinen Mannes hinter dem Ladentisch, in der Werkstatt, an den Maschinen der Fabriken, in den Büros und im Inneren der Erde, in den Kohlengruben, in mitreißenden Worten verkündet. Als Lucek, auf einem Stuhl stehend, den Artikel mit lauter und später vor Ergriffenheit zitternder Stimme vorlas, standen den Studenten die Tränen in den Augen. Erst nach Sekunden tiefen Schweigens umarmte man Karel Pilny, reichte ihn herum und drückte ihn an sich.
    »Das ist die Sprache unseres Volkes«, sagte Lucek erschüttert. »Wer dieses überhört, ist tauber als taub!«
    Jetzt wurde dieser Artikel noch einmal korrigiert. Er war zehn Zeilen zu lang, und Pilny brütete vor dem Satzschiff, wo er einige Sätze herausnehmen konnte, ohne daß die Leidenschaft der Sprache darunter litt.
    Erstaunt hielten die Studenten im vorderen Keller mit dem Verpacken der Flugblätter ein, als an der dicken Eisentür das vereinbarte Klopfzeichen ertönte.
    Dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz … das internationale Zeichen für SOS. Es war die Erkennungsmelodie der Freunde.
    »Jetzt?« sagte einer der Studenten. »Um diese Zeit hat sich keiner angesagt.«
    »Holt Micha!«
    Wieder klopfte es. SOS. SOS.
    Lucek kam aus dem mittleren Keller nach vorn gerannt. Er blieb an der dicken Tür stehen und winkte in den Raum. »Still!« Das Zittern des Fußbodens ließ nach und

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