Blutige Asche Roman
sofort abholen durftest.«
Sie ließ die Zeitung ein wenig sinken. »Du gehst zu weit. Du bist mein Kind, aber glaub nicht, dass ich mich scheue, die Polizei zu rufen, wenn du so weitermachst.«
»Nein, du würdest nicht zögern, dein eigenes Kind anzuzeigen. Das wissen wir bereits.«
»Ich rufe sie an.«
»Bitte, nur zu. In der Zwischenzeit können wir uns noch nett unterhalten. Ich habe in den letzten Monaten nämlich so einiges über dich erfahren, Mama - du kannst die Zeitung ruhig weglegen. Dass du einen Sohn hast. Dass dieser Sohn einen
Vater hat. Dass dieser Vater Twan van Benschop ist. Dass dir Twan van Benschop eine ordentliche Stange Geld gegeben hat, um sich freizukaufen, als du schwanger wurdest. Dass er mir - und dafür muss ich dir noch danken, Mama - eine gute Stelle besorgt hat, als ich schwanger wurde. Habt ihr die ganze Zeit über Kontakt gehabt? Seht ihr euch immer noch?«
»Hör auf«, sagte meine Mutter. »Hör auf, hör auf, hör auf.«
»Von wegen. Das ist ja erst der Anfang der interessanten, geheimnisvollen Details aus dem Leben der Ageeth Antonia Boelens.«
»Die dich nicht das Geringste angehen.«
»Da täuschst du dich. Mich geht das alles etwas an. Nicht weil ich deine Tochter bin, sondern weil Ray mein Bruder ist.«
»Werd nicht sentimental. Du kennst Ray nicht.«
»Weißt du, was ich denke? Dass du eigentlich genauso bist wie Rosita. Auch du bist als junge Frau dem Charme eines verheirateten Mannes erlegen und schwanger geworden. Hast du sie deshalb so gehasst?«
»Laienpsychologie.«
»Versuch, mir zu helfen, Mama, das wäre besser. Bestechung des Personals einer psychiatrischen Klinik und Erpressung von Patienten sind beides Straftaten. Du willst bestimmt nicht, dass das rauskommt. Und glaub bloß nicht, dass ich mich scheue, meine eigene Mutter anzuzeigen.«
»Da mache ich mir keine Illusionen.«
»Also wirst du mir helfen. Frage Nummer eins: Hast du immer noch Kontakt zu Twan van Benschop?«
An dem verkniffenen Mund meiner Mutter sah ich, dass sie wütend war. Trotzdem antwortete sie. »Ja.«
»Erzähl weiter. Wo? Wann? Wie oft?«
»Nicht so oft wie früher. Aber wir haben nach wie vor Kontakt.« Sie reagierte äußerst widerwillig.
»Hattest du ein Verhältnis mit ihm, während du mit Papa verheiratet warst?«
»Ja.« Sie schob herausfordernd das Kinn vor.
Mir fehlten kurz die Worte, und ich musste an meinen geliebten Vater denken. Er hatte meine Mutter angebetet, er hatte alles für sie getan, so dass man es manchmal kaum mit ansehen konnte. »Wie hast du das hingekriegt? Wie lange geht das schon?«
»Fünfundvierzig Jahre«, sagte meine Mutter nicht ohne Stolz.
»Du hast sie doch nicht mehr alle. Was hast du dir nur dabei gedacht? Dass er die Reederei irgendwann aufgibt, um mit dir durchzubrennen?«
»Nein, ich habe immer gewusst, dass er das nie tun würde.«
»Und trotzdem hast du dich weiterhin mit ihm getroffen. Warum?«
»Weil ich ihn liebe«, knurrte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass du in der Lage bist, irgendjemanden zu lieben. Ray hast du weggegeben, mir hast du kein bisschen Wärme geschenkt, deinen dich liebenden Ehemann hast du all die Jahre betrogen und Aron … Aron liebst du. Wenn das nicht wäre, könnte man meinen, du bist ein Roboter.«
Meine Mutter zeigte keinerlei Reaktion. Sie blinzelte nicht einmal. Ich verspürte den Wunsch, ihr eine schallende Ohrfeige zu geben.
»Das war erst Frage Nummer eins, Mama. Jetzt kommen
wir zu den wirklich wichtigen Fragen. Warum darf Ray keinen Kontakt mehr zu mir haben? Warum soll ich meine Untersuchungen einstellen?«
Meine Mutter schwieg.
»So einiges kann ich auch selbst beantworten. Hast du wirklich geglaubt, du könntest mich an der Nase herumführen?« Ich holte tief Luft und sprach langsam und deutlich. »Ich darf nicht mit meinen Untersuchungen fortfahren, weil du Angst hast, dass dann Dinge herauskommen, die ziemlich … unangenehm für dich sind. Dein Verhältnis mit Twan van Benschop zum Beispiel. Aber ich habe mich gefragt, ob das der einzige Grund ist. Jemanden mit einem Början-Messer abschlachten ist nämlich ziemlich mühsam. IKEA, weißt du noch? In einem Prüflabor für Werkstofftechnik wurden einige Belastungstests mit dem Messer gemacht, die ergeben haben, dass man damit nicht einundzwanzig Mal auf einen Brustkorb einstechen kann. Beim siebten oder achten Mal bricht die Klinge. Außerdem wurde Rays Messer bereits erheblich in
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