Blutige Nacht: Roman (German Edition)
ungarischer Aristokrat mit Beziehungen zu seinem Herkunftsland. Er war nach Amerika gekommen, nachdem er während der Französischen Revolution aus Frankreich verjagt worden war. Dazu gezwungen, sich zwischen seinem Vermögen und seinem Kopf zu entscheiden, hatte er klugerweise auf das Geld verzichtet. Warum auch nicht? Vampire haben keine Probleme, an Geld zu kommen. Was man nicht verdient, kann man sich immer nehmen, und genau das hatte er getan.
Nachdem er seinen Namen in das amerikanischer klingende William Brasher geändert hatte, war er eine Weile an der Ostküste herumgezogen, ehe er schließlich nach Westen abwanderte, um bei den Wirren der Anfangstage des kalifornischen Goldrauschs mit dabei zu sein. Es wird erzählt, dass mehrere Goldgräber mit Anrechten auf erzhaltige Minen nach Brashers Ankunft in den frühen 1850ern auf mysteriöse Weise verschwanden. Noch merkwürdiger war, dass sie ihre Anrechte am Vorabend ihres Verschwindens zum Spottpreis an Brasher verkauft hatten. Man stellte Fragen, aber nicht zu viele. Brasher hatte die verblüffende Gabe, sich aus Schwierigkeiten herauszureden, und schließlich waren die Papiere für die Anrechte unterschrieben und rechtmäßig. Er häufte ein Vermögen an, das bei weitem das überstieg, welches er in Europa zurückgelassen hatte. Später zog Brasher nach Südkalifornien und ist nie wieder von dort weggezogen. Der Typ hörte sich nach einem richtigen Charmeur an. Ich konnte es kaum erwarten, endlich auf ihn zu treffen.
Ich trat meine Kippe auf dem mit Platten ausgelegten Zufahrtsweg aus und überprüfte zum wiederholten Mal die Ladung des Revolvers. Zufrieden, dass die Patronen sich nicht verdünnisiert hatten, als ich gerade nicht hingesehen hatte, schlich ich zur einen Seite mit dem im Dunkeln liegenden Bediensteteneingang und trat ein.
Drinnen war es ganz dunkel und roch verdorben nach dem Gestank der Verwesung. Brasher war ein alter Vampir, also noch aus einer Zeit, bevor es elektrische Tiefkühltruhen gab. Er schlief in einem ganz normalen Sarg, und dadurch roch alles im Inneren nach Fäulnis.
Beim Umschauen fand ich mich in der großen leeren Speisekammer einer riesigen Küche wieder. Die Küche sah nicht so aus, als würde sie viel benutzt, aber warum sollte sie das auch? Brasher ließ sich ja immer etwas zu essen kommen.
Ich schloss die Tür hinter mir und spitzte die Ohren. Doch meine Mühe wurde mit keinem Geräusch belohnt. Das Bedürfnis unterdrückend, die Patronen in der Waffe nochmals zu überprüfen, begab ich mich in den langen, mit Holz verkleideten Gang, der durch das steife Esszimmer führte und vor einer engen Treppe endete. Wieder lauschte ich. Noch immer nichts. Ich erinnerte mich an den Grundriss, den Coraline mich auswendig zu lernen gezwungen hatte. Das Büro lag am anderen Ende des Hauses, im Obergeschoss. Die Treppe würde mich dorthin führen. Also erklomm ich die Treppe.
Der unverwechselbare Geruch von frischem Blut überfiel mich, als ich den oberen Gang betrat. Coraline hatte mich ausreichend genährt, bevor ich losgegangen war, aber der überwältigende Geruch erweckte tief in mir den Drang, mich zu verwandeln und erneut zu nähren. Ich spürte, wie er sich meine Eingeweide hinaufschlängelte und nach Erlösung schrie. Bislang hatte ich es seit meiner Verwandlung immer geschafft, eine vollständige Metamorphose zum Vampir zu unterdrücken. Ich hatte ein bisschen Angst davor. Mehr als nur ein bisschen, wenn Sie es genau wissen wollen. Ich sagte mir, was mir Angst mache, sei das Loslassen von Kontrolle, das Verwandeln in eine kopflose Tötungsmaschine, doch ehrlicherweise hatte ich mehr Angst davor, wie sehr ich es im Geheimen begehrte, mich gehen zu lassen, wie sehr ein neuer und schrecklicher Teil von mir genau das tun wollte.
Ich schluckte hart und schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Es funktionierte, aber nur kurz. Ich wusste, das war erst der Anfang. Je länger ich diesem Geruch ausgesetzt war, desto schlimmer würde der Drang werden und umso mehr würde das, was auch immer sich in mir befand und nach draußen wollte, gegen dieses Verbot aufbegehren. Es ließ mich an einen gefesselten Geisteskranken denken, der nach Befreiung aus seiner Gummizelle schrie. Ich musste mit meinen Gedanken bei mir bleiben. Ich musste in der Lage sein, darüber nachzudenken, ob ich gegen einen so mächtigen Vampir wie Brasher gewinnen konnte.
Zeit, Taten sprechen zu lassen.
Weniger achtsam als zuvor, folgte ich meinem
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