Blutige Rosen
Unangefochten erreichte ich das Erdgeschoss, wo ich den Strauß schräg hielt, damit ich an ihm vorbeischauen konnte.
Der Nachtportier wunderte sich. »Holen Sie die Blumen wieder ab, die Sie der Dame Ihres Herzens geschenkt haben?« fragte er und streckte dabei seinen Kopf aus dem Kasten.
Ich nickte. »Ja, leider. Aber ich habe die Rosen ihr nicht gebracht, wenn Sie das meinen.«
»Das weiß ich.«
»Oh, Sie kennen den Kavalier?«
»Nein, nie gesehen. Ich habe mich nur gewundert. So einen Strauß bekommt man ja nicht alle Tage.«
»Das stimmt.«
»Und warum nehmen Sie ihn wieder mit?«
»Weil Miss Collins keine so große Vase hat, in die er hineinpasst«, erwiderte ich trocken.
Der Knabe krümmte sich fast vor Lachen. »Das ist gut, das ist sogar sehr gut. Der Klopfer der Woche, Meister, ehrlich. Das muss ich meiner Alten mal unter die Weste schieben.« Dann jedoch wurde er ernst. »Haben Sie sich verletzt, Mister?«
»Wieso?«
»Sie bluten. An ihrer Hand ist alles rot. An der rechten«, fügte er hinzu, als ich auf die linke schaute. »Rosen haben Dornen.«
»Und wie, Mister. Ist wie bei einer schönen Frau. Wenn man an nichts Böses denkt, sticht sie zu.«
»Erfahrungen, wie?«
»Kann man wohl sagen. Ich bin jetzt 53 und war schon zweimal verheiratet. Jedesmal habe ich mir geschworen, es nicht wieder zu tun, aber die Weiber fangen mich immer wieder ein. Wie ein Schiff, das im Hafen liegt. Dabei würde ich so gern noch über die Weltmeere segeln, wenn Sie verstehen, Mister.«
»Sicher.« Der Mann hatte Langeweile. Wenn ich weiter hier stand, kam ich erst am anderen Morgen weg. Deshalb nickte ich ihm zu und verließ das Haus.
Es war diesiger geworden. Zwar lag noch kein Nebel über den Straßen, dafür lange Dunstschleier, die wie träge Fahnen zwischen den Häusern wallten sowie an den Hauswänden hoch krochen, so dass die hellen Vierecke der Fenster zu zerfließenden Gebilden wurden. Vor meinen Lippen dampfte dünner Atem, als ich meinen Silbergrauen ansteuerte. Den makabren Strauß hielt ich jetzt nicht mehr mit beiden Händen fest, sondern nur noch mit einer. Die Blüten wiesen dabei zu Boden.
Die meisten Menschen hatten sich in ihre Häuser zurück gezogen. Passanten sah ich so gut wie gar nicht. Auf dem Wagen lag eine nasse Schicht. Sie bestand aus dicken Wasserperlen.
Ich öffnete die Fahrertür. Den Strauß legte ich auf den Beifahrersitz. Ich hoffte nur, dass mir das Blut nicht die Polster verschmutzte und legte deshalb noch eine Decke auf den Sitz. Danach startete ich den Bentley und rangierte rückwärts aus der Parklücke.
Während ich durch das abendliche London rollte, dachte ich über die blutigen Rosen nach. Gordon Schreiber hatte sie Jane Collins geschenkt. Mit Blut geschrieben, war sein Name auf der kleinen Karte aufgetaucht. Aber er lenkte nicht allein. Gordon Schreiber hatte Unterstützung. Und zwar von Wikka, der Hexe. Diese wiederum liebte den Teufel heiß und innig, so dass man wirklich von einem satanischen Dreieck sprechen konnte.
An einer Ampel stoppte ich. Im Vergleich zu anderen Städten hat London relativ wenig Ampeln, weil viele Verkehrsprobleme durch Kreisverkehr geregelt werden. Wir als Engländer gehören zu den Menschen, die auch im Kreisverkehr gut vorankommen. Ich kenne Deutsche, die ihn völlig ablehnen.
Ein knatterndes Geräusch nahm meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Rechts neben mir glitt ein Lichtstrahl über die Fahrbahn, und dann fuhr ein Motorrad langsam bis an den Streifen, um neben mir stehen zu bleiben. Ich schaute mir die Maschine an. Es war eine Honda, von der das Wasser tropfte. Zwei Personen hockten auf dem Rücken. Ob Mann oder Frau war wirklich nicht zu erkennen, weil sie einfach zu vermummt aussahen in ihrer wetterfesten Kleidung.
Sie trugen allerdings helle Lederjacken, was mich wiederum wunderte. Am Rücken erkannte ich auch eine Schrift. White Angels - Weiße Engel. Während ich auf das Umspringen der Ampel wartete, dachte ich über die White Angels nach. Gehört hatte ich den Namen bereits, allerdings kam ich nicht auf den genauen Zusammenhang. War es ein Verbrechen gewesen oder das Gegenteil davon?
Da hatte ich es. Das Gegenteil. Die Weißen Engel waren aufgefallen, weil sie sich für die Jugend einsetzten. Mit anderen Worten, sie hatten eine Selbsthilfeorganisation gegründet, die sich um gestrandete Jugendliche kümmerte und sie vor allen Dingen vom Rauschgift wegbringen wollte, denn im Rauschgift sahen die White Angels das große
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