Blutige Rosen
Als der Türgong anschlug, trug Jane Collins nur ihren schwarzen Rock. Die schockrote Seidenbluse lag noch auf der Tüte. Jane hatte sie überstreifen wollen, wurde aber durch den Gong gestört. Eigentlich erwartete die blondhaarige Privatdetektivin keinen Besuch, und sie wusste auch nicht, wer an diesem Abend zu ihr wollte. Jedenfalls war sie nicht verabredet.
Beim zweiten Gong streifte sie die neue Bluse über und knöpfte sie auf dem Weg zur Tür zu.
Sie spinkste durch den Spion. Manche Leute sehen rot, doch Jane Collins sah nur gelb. Gelbe Blumen, Rosen, um genauer zu sein. Teerosen, wie der Fachmann sagt. Der Strauß war so groß, dass Jane den Mann, der ihn in der Hand hielt, nicht erkannte. Der Kopf verschwand hinter der gelben Pracht.
Viele Frauen hätten die Tür aufgerissen und sich die Rosen geschnappt. Jane war da vorsichtiger. Ihr Beruf hatte sie so werden lassen. Sie wartete ab. Hinter dem Rosenstrauß konnte ein Mann stehen, der eine schussbereite Waffe in der Hand hielt, denn Jane war einigen Ganoven der Londoner Unterwelt kräftig auf die Zehen getreten. Sie öffnete die Tür so weit, bis sie von der Sicherheitskette gehalten wurde.
Eine noch junge Stimme fragte: »Sind Sie Miss Collins?« Gleichzeitig drückte der Mann den Rosenstrauß zur Seite, so dass sein sommersprossiges Gesicht zu sehen war, das allmählich rot wurde, je länger er die Detektivin anblickte.
Jane zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. »Das bin ich.«
»Dann… dann ähm… soll ich den Strauß hier für Sie abgeben.«
»Wirklich für mich?«
»Ja, Miss.«
»Moment.« Jane schloss die Tür wieder und holte ihre Geldbörse, um dem Boten einen kleinen Obolus in die Hand zu drücken. Dafür bekam sie den Strauß.
Der Bote deutete sogar noch eine linkische Verbeugung an, bevor er mit hochrotem Kopf abzog.
Janes Augen strahlten. Herrlich, diese Blumen. Es waren mindestens 25 Rosen, und jede Blüte leuchtete in einem satten Gelb, wie sie es selten gesehen hatte.
Jane war in der Diele stehen geblieben, brachte die Blüten näher an ihre Nase und sog den Duft ein. Er war herrlich. Regelrecht betäubend. Jane konnte sich nicht erinnern, dass Rosen so intensiv geduftet hatten. Wirklich wundervoll. Wer mochte ihr die geschickt haben? Sie dachte darüber nach, als sie in den Wohnraum ging und auch Ausschau nach einer entsprechenden Vase hielt. Es kamen einige Männer in Frage. Vielleicht ein Klient, der mit ihrer Arbeit besonders zufrieden gewesen war. Oder John Sinclair? Auch das war möglich, obwohl man ihn nicht als Rosenkavalier bezeichnen konnte. John hatte zu viele andere Dinge im Kopf. Als sie die Rosen ablegte, sah sie die kleine Karte. Sie steckte zwischen den Stielen, war in Grün gehalten und hatte sich deshalb kaum farblich abgehoben. Mit spitzen Fingern zog sie Jane Collins hervor.
»Von einem unbekannten Verehrer«, las sie halblaut. Jetzt war sie ebenso schlau wie zuvor. Schade, dass der Verehrer keinen Namen auf die Karte geschrieben hatte.
»Dann eben nicht, mein Lieber«, sagte die Detektivin und lief in die Küche, wo sie auch Vasen stehen hatte. Sie nahm die größte hervor, die sie nicht einmal senkrecht in den Schrank stellen konnte, sondern gelegt hatte.
Mit der Vase ging sie zurück. Ein altes Erbstück ihrer Großmutter. Noch echtes Kristallglas. Die Vase zeigte die Form eines Kelches, der nach oben hin ein wenig auseinander lief. Jane musste die Blumen teilen und sie fast einzeln in drei Vasen stecken, denn alle auf einmal passten nicht durch die Öffnung.
Vorsichtig hob sie die Vase an und stellte sie auf den runden Esstisch. Hier sollten die Blumen ihren Platz bekommen.
Jane Collins trat zwei Schritte zurück, um sich den Strauß noch einmal anzusehen. Wirklich prächtig sah er aus. Einfach ein Gedicht. Ein toller Gruß. Nur - wer hatte ihn geschickt? Diese Frage wollte Jane Collins nicht aus dem Kopf.
Sollte John Sinclair vielleicht doch…?
Sie hob die Schultern, ging zum Barschrank, wo der trockene Martini stand und das Eis in einer Kühlbox lag. Sie ließ Vierecke in das Glas rutschen und goss Martini darüber. Dann trank sie. Kalt und bitter rann es über ihre Zunge. Jane kaute den Martini regelrecht, während sie den Rosenstrauß keinen Augenblick aus dem Blickfeld ließ.
Er machte sich gut auf dem runden Tisch. Die Knospen waren voll erblüht. Da Jane wusste, wie teuer Rosen um diese Jahreszeit waren, hatte sich der Käufer den Strauß einiges kosten lassen. Aber wer war der
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