Blutige Seilfahrt im Warndt
Pierre, »in einer Teufe von minus vierhundertzwanzig Metern. Der Strom ist abgeklemmt, weil hier schon seit Jahren nicht mehr gearbeitet wird. Nur noch Wasser wird abgepumpt und Luft zugeführt.«
Stahltüren zu beiden Seiten erweckten ihr Interesse.
»Kann es sein, dass Anton Grewe hinter einer dieser Türen versteckt gehalten wird?«, fragte Anke und rüttelte an der Klinke.
»Ich vermute, dass wir weiter in Richtung Velsen vordringen müssen. Dort sind die ehemaligen Sprengkammern. Hier sind wir zu weit außerhalb.«
Sie gingen weiter. Trotzdem versuchte sich Anke immer wieder an den Türklinken, bis sie auf eine stieß, die plötzlich nachgab. Fast wäre sie in den Gang hineingefallen, der sich plötzlich vor ihren Augen offenbarte.
Ein Bergmann entfernte sich von ihr. Sie starrte ihm verwundert nach und überlegte, was Pierre gerade gesagt hatte. Angeblich wurde hier nicht mehr gearbeitet.
Was tat dieser Mann also hier?
»Hallo!«, rief sie.
Der Bergmann blieb stehen.
»Was tun Sie hier?«, fragte sie.
Daraufhin drehte sich der Mann um und ging auf Anke zu. Je näher er kam, umso deutlicher erkannte sie das Gesicht.
Schnur hatte es endlich geschafft, bis zum Truppführer unter Tage vorzudringen. Er nahm das Sprechgerät und berichtete ihm von seinen Erkenntnissen.
»Sie meinen also, dass wir tatsächlich Karl Fechter dort unten treffen werden?«, fragte die Stimme aus der Tiefe.
»Es könnte sein«, gab Schnur zurück. »Nach unseren Ermittlungen hätte Karl Fechter eine gute Ausgangsbasis gehabt, um sich elf Jahre vor uns zu verstecken. Nämlich in Frankreich. Deshalb bitte ich Sie, nicht zu zögern, wenn Sie ihn dort unten sehen. Suchen Sie alle Verbindungen nach Frankreich ab.«
»Okay! Wie Karl Fechter aussieht, wissen wir ja. Es gibt keine Gedenktafel ohne ein Foto von ihm«, sprach der Truppführer. »Auf der fünften Sohle haben wir sämtliche Kammern inspiziert, die mal als Sprengstofflager genutzt wurden. Fehlanzeige! Jetzt gehen wir auf die vierte Sohle, dort gibt es auch noch eine Wetterverbindung in Richtung Frankreich. Die Kammer kann nur noch dort liegen. Die Sohlen darüber sind abgedämmt. Da kann keiner überleben.«
Das Gespräch war beendet.
Nun konnte Schnur nichts anderes tun, als abwarten. Er war froh, dass Andrea an seiner Seite war. Sie strahlte trotz der gefährlichen Situation immer noch eine beneidenswerte Ruhe aus, von der sich Schnur anstecken lassen wollte.
»Tim Fechter!«, rief Anke erstaunt aus. »Was machen Sie denn hier?«
»Vermutlich dasselbe wie Sie«, antwortete der große, blonde Mann mit einem gehetzten Lächeln. Mit langsamen und bedächtigen Schritten trat er immer näher auf Anke zu. »Ich will mich davon überzeugen, ob mein Vater wirklich noch lebt und sich hier herumtreibt.«
»Wie sind Sie hierhergekommen?«
»Durch den Schacht«, antwortete Tim. »Die Männer oben kennen mich und lassen mich runterfahren.«
Anke staunte. Diese Aussage passte nicht zu dem, was sie in den Protokollen gelesen hatte.
»Ich dachte, Sie haben sich gegen den Bergmannsberuf entschieden«, hakte sie nach.
»Das stimmt! Aber ich bin nie aus der Bergmannssiedlung weggezogen. Deshalb kennen mich die Jungs. Ich gehöre sozusagen dazu.« Er lachte sein entwaffnendes Lächeln, das Ankes Verdacht zerstreute. »Und was tun Sie hier unten?«
»Wir suchen einen Mann, der hier eingesperrt wurde.« Sie tastete ihre Taschen ab und überlegte fieberhaft, wo sie das Foto hingesteckt hatte, auf dem Anton Grewe in dieser Kammer abgebildet war.
Plötzlich hörte sie hinter sich Kullmanns Stimme: »Anke, wo steckst du?«
»Ich bin hier!«
»Was tust du da?«
»Ich habe Tim Fechter getroffen.«
Pierre näherte sich den beiden, schaute auf Tim Fechter und sagte zu Kullmann: »Der Mann heißt nicht Tim. Dieser Mann heißt Charles.«
»Das kann nicht sein«, widersprach Kullmann. »Das ist Karl Fechters Sohn Tim.«
»Uns ist er nur als Charles bekannt.«
»Wir haben die erste Sprengstoffkammer gefunden«, lautete plötzlich die Mitteilung über das Sprechgerät der Grubenwehr. »Aber dort ist niemand. Wir suchen weiter.«
»Okay! Nach unseren Berechnungen bleiben dem Mann noch sieben Stunden«, erklärte Schnur.
»Wir beeilen uns.«
Die Verbindung war beendet.
Schnur trat vor die Maschinenhalle hinaus in die kalte, klare Luft des frühen Morgens.
Die Stille tat ihm gut. Er spazierte einige Schritte über den Hof, bis er bemerkte, dass er Andrea schon eine Weile nicht mehr
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