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Blutige Seilfahrt im Warndt

Blutige Seilfahrt im Warndt

Titel: Blutige Seilfahrt im Warndt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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Vor ihren Augen gabelte sich der Weg. Doch für Pierre war es keine Frage, in welchen Richtung sie gehen mussten. Er steuerte zielstrebig den kleineren der beiden an. Im Schein der Taschenlampen waren nur ihre Schritte zu hören, und das gelegentliche Trampeln und Fluchen, wenn Anke gerade mal wieder über einen vorstehenden Stein gestolpert war.
    Plötzlich offenbarte sich zu ihrer Linken ein großer Durchgang, der im Licht der Lampen glitzerte. Wie magisch angezogen steuerte Anke darauf zu. Sie sah einen Spalt in der Felsenwand. Dahinter schimmerte Wasser.
    »Deine Freundin ist schlechter zu hüten als ein Sack voller Flöhe«, schimpfte Pierre plötzlich los. »Habe ich nicht klar genug gesagt, sie soll nicht vom Weg abkommen?«
    Kullmann packte Anke an der dicken Jacke und zog sie zurück. Als er das Leuchten in ihren Augen sah, musste er lächeln.
    »Du bist für diese Unternehmung wirklich genau die Richtige«, meinte er. »Trotzdem sollten wir uns an Pierres Anweisung halten.«
    »Aber …«, wollte Anke etwas entgegnen, als ihr Pierre ins Wort fiel: »Das, was Sie da sehen, ist eine Verwerfung im Sandstein, die dadurch entsteht, dass Sandstein in dieser Gegend nicht so hart ist. Solche Verwerfungen sind lebensgefährlich. Der Boden unter Ihren Füßen könnte einbrechen. Und das Wasser, das Sie dort sehen, ist kein stiller See, sondern eine abgesoffene alte Wasserhaltung. Wer da hinein gerät, ist verloren.«
    »Was ist eine Verwerfung?«, fragte Anke überrascht.
    »Das ist eine tektonische Störung der Gebirgsschicht!« Als Anke ihn nur begriffsstutzig ansah, fügte er an: »Tektonische Störungen sind Risse im Gebirge. Hier sind die Gebirgsschichten gegeneinander versetzt. Sie sind im Laufe der Erdgeschichte entstanden und bilden Schwachstellen im Gebirgskörper, was erst dann herauskommt, wenn man an diesen Stellen einen Stollen vorangetrieben hat. Bei Sandstein liegt eine geringere Verfestigung und ein großes Porenvolumen vor, was eine weniger gute Verwitterungsbeständigkeit zur Folge hat. Dadurch entstehen Verwerfungen, in denen sich das Wasser und sonstiges Rieselgut sammelt. Auch ist der Boden dicht am Rand brüchig. Deshalb rate ich Ihnen, Abstand zu halten.«
    »Aber dort steht etwas«, beharrte Anke.
    »Was?«
    »Eine Figur! Sieht aus wie eine Heiligenfigur.«
    Nun trat auch Pierre näher heran und beugte sich über den Rand, um zu erkennen, wovon Anke sprach. Kullmann kletterte von der anderen Seite herbei.
    Da sahen sie es.
    Sankta Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute, stand dort auf einem Felsvorsprung an die Wand gelehnt.
    »Sieht aus, als wäre hier ein Bergmann ums Leben gekommen«, kommentierte Pierre fassungslos.
    »Die Figur sieht noch gut erhalten aus. Lange steht sie noch nicht dort«, meinte Anke.
    »Das kann aber nicht sein«, widersprach Pierre. »Seit fünfzig Jahren wird hier nicht mehr gearbeitet.
    »So lange steht diese Figur hier noch nicht«, stellte nun auch Kullmann klar. »Dafür sieht sie zu unbeschädigt aus. Trotzdem sollten wir weitergehen. Die Zeit für unseren Kollegen Grewe steht nicht still.«
    Die Strecke wurde immer steiler. Sie verließen den Bereich des Deckgebirges und tauchten in die Welt der Steinkohle ein.

    Schüttelfrost überfiel ihn. Er zitterte unkontrolliert am ganzen Körper. Grewe versuchte sich zur Ruhe zu zwingen, doch das gelang ihm nicht. Die Fesseln an seinen Armen schnitten ihm immer qualvoller ins Fleisch. Die Hosenbeine waren durchgescheuert. Aber befreien hatte er sich nicht können. Das einzige, was er erreicht hatte, waren Schmerzen, die mit jeder geringen Bewegung schlimmer wurden.
    Er schaute auf den Zeitanzeiger. Noch zehn Stunden.
    Er ahnte, dass Remmark nicht zur Polizei gegangen war. Warum sollte er das tun? Erst jetzt überkam Grewe diese Erkenntnis. Und traf ihn wie ein Hammerschlag.
    Remmark setzte sich mit dem Geld einfach ab und keiner würde etwas merken. Alle würden Bonhoff hinter dem Verbrechen vermuten. Und durch das Verschwinden seines Freundes hatte er auch niemals eine Chance, seine Unschuld zu beweisen.
    Also konnte er nicht mehr mit Hilfe rechnen.
    Diese Erkenntnis erschütterte ihn so sehr, dass das Zittern noch zunahm. Er hielt seinen Blick auf die Mauer gerichtet, hinter der sein Freund lag.
    Doch schon seit Stunden hatte er nichts mehr aus dieser Ecke gehörte. Lebte er überhaupt noch? Jeder klare Gedanke, den er noch fassen konnte, überzeugte ihn davon, dass Bonhoff unmöglich noch leben konnte. Ein

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