Blutige Seilfahrt im Warndt
erklärt hatte, ließ ihn frösteln. Selten war er mit einem Opfer bekannt – auch wenn diese Bekanntschaft nur flüchtig war. Gestank hatte sich bereits ausgebreitet. Es roch metallisch – ein Zeichen dafür, dass viel Blut ausgetreten war. Weitere Gerüche mischten sich dazwischen. Schnur spürte mit jedem Schritt, den er sich dem Tatort näherte, dass er eigentlich nicht sehen wollte, was ihn erwartete.
Und doch ging er weiter, bis er auf die ersten Männer der Spurensicherung traf.
Als er den überlangen Oberlippenbart aus dem Plastikschutz im Gesicht heraushängen und die nietenbesetzten Schuhspitzen aus den weißen Überziehern hervorstechen sah, wusste er sofort, wen er vor sich hatte: Robert Ollig alias Buffalo Bill.
»Hi«, kam es aus dessen Mund. Doch von der Lässigkeit, die er vorgeben wollte, keine Spur.
Als Schnur sah, worauf er in seiner Plastikhülle zeigte, fiel ihm vor Schreck nichts mehr ein. Hinter dem Kohlenbrecher war nur noch braune, flüssige Splittermasse zu erkennen. Er ging weiter und sah hinter der wuchigen Maschine, zwischen den Ketten des Panzerförderers, rotbraune Gewebefetzen, dazwischen schimmerten weiße Teile von Knochen. Sehnen und Muskeln zogen sich der Länge nach über den Boden. Ollig leuchtete mit seiner Taschenlampe an die rauen, steinigen Wände. Dort hing etwas, das wie weiße und rote Fäden aussah. Auf Schnur verständnisloses Gesicht nahm der Teamchef der Spurensicherung ein Gummi aus der Tasche, zog daran und machte ein »Pitsch«, als das Gummi zerriss und davon schnellte. Dazu erklärte er: »Sehnen und Bänder, die durch Überdehnen auseinandergeplatzt sind, sind das.« Er zeigte auf die Fetzen, die sich zwischen den Stahlgittern und den Steinen verfangen hatten und fügte an: »No garland!«
Schnur hätte den Mann am liebsten angeschrien, weil er das Verhalten respektlos und rüpelhaft empfand. Aber er hielt lieber seinen Mund, sonst könnte sein Mittagessen herauskommen.
Er schaute zu Boden und sein Blick fiel ausgerechnet auf rote bis hellrote Schläuche, aus denen grüne und gelbe gallertartige Masse quoll. Als nächstes lag eine abgerissene Hand auf dem unebenen Boden. Erst jetzt erkannte Schnur, wo er sich befand. In der Fußstrecke unterhalb des Strebs. Blutige Schlieren zogen vom schrägen Fahrfeld herunter ihre Bahnen bis auf den Boden, auf dem er stand. Der Walzenschrämlader war mit rotbrauner Masse überzogen. Daneben lag ein Schuh, aus dem etwas Spitzes, Weißes herausstand. Schnur vermutete, dass der Fuß noch drinsteckte, wollte es aber nicht so genau wissen. Als er seinen Blick zu den Schilden wandern ließ, entdeckte er einen blutverschmierten Grubenhelm, an dessen Rändern sich etwas Wellenförmiges ausbreitete.
Plötzlich wurde es dunkel.
Schnur zuckte zusammen. Hatte jemand das Licht ausgeschaltet? Nein! Alle Lampen brannten noch. Er erkannte, dass ihm schwarz vor Augen geworden war. Beschämt blickte er sich um, aber niemand hatte seinen Schwächeanfall bemerkt. Er beschloss, den Tatort zu verlassen, bevor er vor all den Männern tatsächlich in Ohnmacht fiel.
Als er sich umdrehte, sah er, dass die Staatsanwältin an der Eingangstür auf ihn wartete. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, dass sie sich diesem Anblick nicht hatte aussetzen können.
Die Bergmänner sammelten sich an der Absperrung. Grewe tat das Gleiche. Alle starrten zum Eingang des Erlebnisbergwerks, wo einige Leute in weißen Plastikanzügen hineingingen. Grewe erkannte sofort, dass dort ein Verbrechen geschehen war. Aber er beteiligte sich nicht an den Spekulationen, weil er Angst hatte, er könnte sich verraten. Der Anblick der Spusis war für ihn alltäglich, während die Bergleute die wildesten Theorien aufstellten, was dort gerade ablief.
Bis einer rief: »Es hat wieder einen von uns erwischt.«
Nun war der Tumult nicht mehr zu stoppen. Alle wollten gleichzeitig zum Erlebnisbergwerk. Sie rissen die Absperrung nieder und rannten los, als plötzlich Polizisten auftauchten und sie wieder zurückdrängten.
»Was ist dort los?« »Wir haben ein Recht zu erfahren, wen es erwischt hat.« »Ist es einer von uns?«
Die Polizisten reagierten nicht auf die Fragen, was den Unmut der Männer nur verstärkte.
Plötzlich stand die rothaarige Frau vor ihnen, die sie schon mal auf diesem Gelände gesehen hatten, als Peter Dempler tödlich verunglückt war.
Schlagartig verstummten alle.
»Jemand ist im Erlebnisbergwerk unter die laufenden Maschinen geraten und dabei zu Tode
Weitere Kostenlose Bücher