Blutige Seilfahrt im Warndt
einfallen lassen?«, fragte sie.
»Auf keinen Fall das, was gerade in deinem hübschen Kopf herumspukt«, brach es zusammen mit einem Schweißausbruch aus Schnur heraus. Er ahnte, dass ihn jegliche Vernunft im Stich lassen würde, wenn diese Frau es jetzt darauf ankommen lassen würde. Und wie er die Situation einschätzte, wusste Ann-Kathrin das genauso gut wie er. Sie kannte ihn einfach zu gut.
»Ach! Beschränken wir uns wieder auf das Dienstliche?«
»Ich würde sagen, dass wir im Moment keine andere Wahl haben.« Schnur hörte sich krächzend an.
Ann-Kathrin stieß ihr kehliges Lachen aus und meinte: »Wie einfach du doch zu durchschauen bist.«
»Danke!« Ihm war zwar nicht danach, aber er wusste nicht, was er sonst hätte sagen können.
»Bitte! Gern geschehen! Ich werde mich mit dem Oberbergamt und mit dem Ministerium für Wirtschaft in Verbindung setzen. Es wird mir etwas einfallen.«
Schnur atmete tief durch.
Sie sprach weiter: »Du kannst schon mal zum Tatort fahren. Sobald ich alles geregelt habe, komme ich nach.«
»Ich wusste doch, dass du unschlagbar bist!« Schnur atmete erleichtert auf, als er die Tür ansteuerte.
Er spürte, dass sie gewonnen hatte. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte er diese Frau auch gar nicht aufgeben. Trotzdem legte er einen Zahn zu, als er das Gebäude verließ – aus Angst vor dem, was auf ihn zukäme, wenn er endgültig und offen zu seinem Entschluss stehen würde.
»Du hast was?«, fragte Grewe so laut, dass sich alle Männer zu ihm und Tremante umdrehten.
»Schrei doch nicht so!« Der Italiener wurde noch nervöser und ging mit hastigen Schritten hin und her. Damit nervte er die anderen Wartenden und brachte sie dazu, herumzunörgeln.
Grewe packte ihn an der Schulter und zog ihn abseits der Gruppe.
»Bist du dir ganz sicher, dass du Karl Fechter gesehen hast?«, flüsterte er nun.
Tremante blickte in alle Richtungen, nur nicht auf Grewe, als er meinte: »Ich weiß, wie verrückt das klingt. Deshalb hat mich Schorsch auch zusammengeschissen. Wenn er erfährt, dass ich dir dasselbe erzählt habe, rastet er aus.«
»Keine Sorge! Schorsch ist der Letzte, mit dem ich darüber sprechen würde«, gab Grewe zu verstehen und meinte das auch ehrlich.
Sichtlich beruhigt atmete Tremante aus und begann zu berichten: »Wie ich schon sagte, war ich auf dem Weg zum Scheißkübel. Die Ecke ist abgelegen. Außerdem stinkt es, weshalb niemand freiwillig dorthin geht.«
»Genauso, wie ich es in Erinnerung habe«, meinte Grewe.
»Jedenfalls ist mir dort jemand begegnet. Ich habe mich gewundert, weil mir an der Stelle noch nie jemand begegnet ist. In der Ecke haben wir die Flöze alle schon abgebaut. Also arbeitet dort schon länger niemand mehr.«
»Und weiter?«, drängte Grewe.
»Der Typ sah ganz gewöhnlich aus. Eigentlich wäre er mir nicht aufgefallen. Es war eben der Stollen, aus dem er kam …«
»Welcher Stollen war das?«
»Das war der Wetterstollen, der bis zur vierten Sohle und von dort zum Gustavschacht führt.«
Grewe staunte. Wer ging freiwillig durch einen alten Wetterstollen, der bei weitem nicht so gestützt wurde wie jeder normale Stollen?
»Und was ist dir an ihm aufgefallen?«
»Dass es Karl Fechter war!« Tremante fuchtelte mit beiden Händen in der Luft herum, sodass Grewe aufpassen musste, nicht getroffen zu werden.
»Kann es nicht sein, dass du durch das unverhoffte Auftauchen von Winfried Bodes Leiche das Gesicht dieses Fremden einfach mit Fechters Gesicht assoziierst?«
»Hä? Was redest du für eine geschwollene Scheiße?«
»Ich versuche nur, eine Erklärung zu finden«, versuchte Grewe sich schnell wieder an die Sprache der Bergmänner anzupassen. »Oder rechnest du ernsthaft damit, dass Fechter noch lebt, während Winni Bo all die Jahre dort unten vor sich hin geschimmelt ist?«
»Die Grubenwehr hat keine weitere Leiche gefunden«, gab Tremante zum Besten.
»Woher weißt du das?«
»Von Schorsch!«
»Und deshalb glaubst du, dass er seit elf Jahren unter Tage herum spukt?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, gab Tremante unfreundlich zurück. »Ich weiß nur, was ich gesehen habe.«
»Wollt ihr eine Schicht anhängen?«, fragte plötzlich Michael Bonhoff.
Verwirrt schauten Grewe und Tremante hoch und stellten fest, dass alle Bergmänner inzwischen verschwunden waren.
»Siggi will Feierabend machen«, fügte Bonhoff grinsend an. »Also würde ich sagen, dass wir diesen Korb mal nehmen.«
Schnell stiegen sie
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