Blutige Stille. Thriller
erzählt.«
Wenn jemand stirbt, macht das in der Amisch-Gemeinde schnell die Runde, und wenn jemand ermordet wird, geht es noch rasanter. Aber nicht um des Klatsches willen, sondern weil die anderen Familien alles stehen und liegen lassen, um den Verletzten oder Hinterbliebenen zu Hilfe zu eilen. Doch bei den Planks gibt es niemanden mehr, dem man helfen kann. Ich erzähle dem Bischof, was passiert ist, wobei ich unnötige Details weglasse.
Er legt die Hand auf die Brust. Die Venen an seinen Schläfen sind angeschwollen, und die Stirn ist schweißbedeckt. Einen Moment lang befürchte ich, dass er einen Herzanfall kriegt.
»Ist alles in Ordnung, Bischof Troyer?«
»Es ist Gottes Wille.« Er schüttelt den Kopf, zwinkert den Schweiß aus den Augen. »
Der Keenich muss mer erhehe
.« Man muss den König erhöhen.
In den nächsten zehn Minuten gehen wir die gleichen Fragen durch wie mit den Zooks, doch etwas Neues erfahre ich erst, als ich wissen will, ob die Planks ihn vielleicht irgendwann wegen eines Problems aufgesucht hatten.
Ein Schatten, den ich nicht recht zu deuten weiß, überzieht sein Gesicht. »Ja.« Er wischt sich mit dem Taschentuch den Schweiß ab und sieht mir direkt in die Augen. »Nach dem Gottesdienst ist Bonnie wegen Mary zu mir gekommen. Sie wollte mir etwas erzählen.«
»Mary ist die Jüngere der beiden Mädchen?«
Der Bischof zieht die Brauen zusammen und nickt. »Bonnie wollte nicht in Gegenwart ihres Mannes mit mir sprechen.«
Seine Aussage lässt mich alarmiert aufhorchen. Die Amischen sind eine patriarchalische Gesellschaft und Geheimnisse zwischen Männern und Frauen selten. Was hat Bonnie ihrem Mann verschwiegen? Und was hatte das mit Mary zu tun?
»Wissen Sie, worüber sie mit Ihnen sprechen wollte?«, frage ich.
Der Bischof schüttelt den Kopf. »Wir hatten keine Gelegenheit, unter vier Augen zu reden. Ich habe es ein paar Mal versucht, aber immer war Amos anwesend.« Er zuckt mit den Schultern. »Letzte Woche bin ich dann mit dem Buggy hingefahren, aber sie sagte, es wäre keine gute Zeit. Einmal bin ich sogar in dem Laden gewesen, in dem Mary stundenweise gearbeitet hat, um sie zu treffen.«
Ich wusste nicht, dass Mary in der Stadt gearbeitet hat. »Was für ein Laden?«
»Der Carriage Stop.«
Er gehört – neben anderen – Janine Fourman, die zudem Mitglied im Stadtrat ist. Im Geiste notiere ich, später dort vorbeizugehen und mit dem Manager zu sprechen. »Wissen Sie, warum Bonnie nicht in Gegenwart ihres Mannes sprechen wollte?«
»Nein. Vielleicht ist … war Amos ein Mann, der nicht über Privatangelegenheiten sprechen wollte.«
Oder es gab etwas, wovon niemand wissen durfte
– eine bedrohliche, unschöne Vorstellung. Es ist zynisch, Amos zu misstrauen, zumal er unter den Toten weilt und sich nicht mehr dazu äußern kann. Ist Amos vielleicht unschuldig in etwas hineingeraten, mit dem er nicht klarkam, und musste er dafür einen hohen Preis bezahlen? »Dann wissen Sie also nicht, warum Bonnie mit Ihnen über Mary sprechen wollte.«
»Nein.«
Glock schaltet sich ein. »Kam Ihnen Bonnie oder ein anderes Mitglied der Familie in letzter Zeit irgendwie seltsam vor?«
Er denkt kurz nach und nickt dann. »Bonnie schien manchmal aufgebracht, aber sie war schon immer eine nervöse Frau.«
»Machte sie jemals einen verängstigten Eindruck?«
Er schüttelt den Kopf. »Ich hatte vor, sie zu besuchen, aber jetzt in der Erntezeit …« Er blickt auf seine Stiefel.
Der Bischof und ich haben über die Jahre immer mal wieder Meinungsverschiedenheiten gehabt. Manchmal ist sein Urteil hart und selbstgerecht, doch er kann auch freundlich, gerecht und großzügig sein. In diesem Moment sehe ich ihm an, dass er sich vorwirft, das Gespräch mit Bonnie nicht hartnäckiger gesucht zu haben.
»Was können Sie uns von Bonnie erzählen?«, frage ich.
»Ich habe die Familie nicht besonders gut gekannt, Katie. Sie waren neu hier in der Gegend und blieben sehr für sich, mehr als die meisten anderen hier. Mary machte einen freundlichen, glücklichen Eindruck auf mich. Sie war gewinnend, und eine gute Schülerin. Und sie hat sich um die jüngeren Geschwister mit gekümmert.«
»Hatte sie einen Freund?«, will ich wissen.
»Ich weiß es nicht.«
»Haben die Planks Verwandte in Lancaster?«, fragt Glock.
»Weiß ich auch nicht.« Ein Schatten überzieht sein Gesicht, und mir wird klar, dass er Schuldgefühle hat, weil er so wenig über sie weiß. »Sagst du mir Bescheid, wenn
Weitere Kostenlose Bücher