Blutige Stille. Thriller
will arbeiten. Ich
muss
arbeiten. Meine Anwesenheit hier ist eine totale Verschwendung von Steuergeldern. Und von Zeit, Ihrer und meiner.«
Der Arzt starrte ihn eine Weile an, dann sagte er: »Sehen Sie mal, John, ich weiß, dass Sie nicht hier sein wollen. Ich verstehe das. Und um ehrlich zu sein, Sie sind nicht gerade der ideale Patient.«
»Das ist jetzt wirklich eine Offenbarung.«
»Aber Tatsache ist doch, dass es ein paar Dinge gibt, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen, und nicht mit mir zu reden, hilft da nicht weiter. Ich kann meine Arbeit nur machen, wenn Sie mit mir reden. Je früher Sie das einsehen, desto schneller sind Sie hier wieder draußen und zurück in Ihrem Job. Aber solange das nicht passiert, machen wir keine Fortschritte.«
Tomasetti sah ihn an. Sein Herz klopfte heftig, und die Worte bildeten einen Knoten in seiner Brust, der sich immer fester zusammenzog, bis er das Gefühl hatte, innerlich zu zerreißen. »Mir geht’s noch nicht besser«, sagte er schließlich.
»Warum glauben Sie das?«
»Es ist jetzt zweieinhalb Jahre her. Mir sollte es besser gehen, tut es aber nicht.«
»Heilung braucht Zeit.«
»Es geht mir zunehmend schlechter.«
Der Doktor sah ihn jetzt eindringlich an. Der wissende Ausdruck in seinem Gesicht missfiel Tomasetti. »Meinen Sie das mit der Notaufnahme?«
Tomasetti wandte den Kopf ab, wünschte, wenigstens diesen Vorfall totschweigen zu können. Denn ihm fehlte das Vertrauen in diesen Arzt, er glaubte nicht daran, dass er ihm helfen könnte, und er hatte keine Lust, eine der entwürdigendsten Situationen in seinem Leben vor ihm auszubreiten.
»Erzählen Sie mir davon«, forderte Hunt.
Tomasetti zwang sich zur Ruhe. »Ich dachte, ich hätte einen Herzinfarkt.«
»Aber Ihr Herz ist in Ordnung, nicht wahr?«
Tomasetti sagte nichts.
»Wie lautete die Diagnose des Arztes in der Notaufnahme?«, fragte Hunt.
»Er sagte, ich hätte eine Panikattacke gehabt.«
»Wissen Sie, was das ist?«
»Ich habe es nachgelesen.«
»Lassen Sie uns doch darüber sprechen.«
Seufzend blickte Tomasetti aus dem Fenster auf die Lichter der Stadt. Im Zentrum von Columbus herrschte um diese Zeit geschäftiges Treiben. Er wusste, dass sich der Buckeye Pub in der High Street im Eiltempo mit Happy-Hour-Gästen füllte. Zwei Stockwerke unter ihm lärmte der Verkehr, und er wünschte, auch irgendwo da draußen zu sein und nicht in diesem Büro, in seiner Haut, in seinem Kopf.
»Wie viel von dem hier erfahren die Schlipsträger beim BCI ?«, fragte er nach einer Weile.
»Alles, was wir beide in diesem Raum besprechen, ist vertraulich, das wissen Sie.«
»Irgendetwas müssen Sie denen doch sagen. Wie sollen die sonst wissen, ob ich überhaupt hier war?«
»Ich berichte lediglich Ihre An- oder Abwesenheit.«
»Und wie erfahren sie, dass ich kuriert bin?«
Ein Lächeln umspielte den Mund des Arztes. »Das steht in meinem Abschlussbericht.«
»Wie wollen Sie wissen, wann es so weit ist?«
»Sagen wir mal so, noch sind wir nicht am Ziel.« Der Doktor hielt kurz inne. »John, erzählen Sie mir von den Panikattacken.«
Tomasetti überlegte, ob er gehen sollte. Es wäre nicht das erste Mal, dass er ein Arztzimmer ohne Erklärung verließ. Doch er wusste, das wäre kontraproduktiv, und er wollte auf keinen Fall seinen Job gefährden. Denn außer der Beziehung mit Kate war die Arbeit alles, was er noch hatte.
Er zuckte mit den Schultern. »Sie waren so ziemlich wie aus dem Lehrbuch. Heftiges Herzklopfen, Schwitzen, die Brust so eng, dass ich keine Luft gekriegt habe.«
»Was haben Sie dabei gefühlt?«
»Totalen Kontrollverlust.« Tomasetti wischte mit den feuchten Händen über die Hose, merkte es und hörte sofort damit auf. »Mir ist der Arsch auf Grundeis gegangen.«
»Ich kann Ihnen ein Medikament verschreiben.«
»Ich glaube, ich habe schon mehr als genug Pillen geschluckt.«
Hunt runzelte die Stirn. »Reden wir kurz über die Albträume.«
»Was ist damit?«
»Wie fühlen Sie sich da?«
»Die machen mir totale Angst.«
»Warum machen sie Ihnen totale Angst?«
»Weil immer jemand, für den ich etwas empfinde, verletzt wird. Oder schlimmer.«
»Er stirbt?«
»Manchmal.«
»Sind Sie dabei? Sehen Sie zu?«
»Ja.«
»Wollen Sie helfen?«
»Ich versuche es, kann aber nicht.«
»Warum nicht?«
»Es ist, als wäre ich gelähmt oder so.«
»Sprechen wir gerade über Ihre Familie? Von Nancy? Den Mädchen?«
Das war der Teil, über den er nicht sprechen wollte.
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