Blutige Stille. Thriller
und war nicht zu übersehen.«
Er leuchtet mit der Taschenlampe über meine verschmutzte Uniform. »Ich hab noch eine Jacke im Streifenwagen –«
Das Knistern meines Funkmikrophons lässt ihn innehalten. Glocks Stimme. »Ich bin auf der Hogpath Road.«
Ich drücke auf Sprechen. »Jemanden gesichtet?«
»Negativ.«
»Verdammt.« Der Mistkerl konnte überall aus dem Maisfeld raus sein, in seinen Wagen steigen und abhauen. Der Regen wird sowieso sämtliche Spuren vernichten. »Sehen Sie sich noch ein wenig um, vielleicht finden Sie ja was.« Ich stoße einen Seufzer aus. »Wir kommen hierher zurück, sobald es hell wird.«
»Verstanden.«
Kopfschüttelnd klopfe ich den Matsch von meiner Jacke ab. »Verdammt.«
T.J. sieht nachdenklich aus. »Glauben Sie, der Mörder ist wegen dem Tagebuch zurückgekommen, Chief?«
»Daran habe ich auch schon gedacht.« Jetzt schaut er besorgt drein, und ich weiß, er denkt das Gleiche wie ich. »Der Tatort muss besser gesichert werden. Und morgen früh durchsuchen wir das Haus und die Nebengebäude noch mal von oben bis unten.«
T.J. nickt. »Ich hab ja später als die anderen angefangen, soll ich hier draußen bleiben?«
»Das wär wirklich gut, danke. Und behalten Sie das Funkgerät in Reichweite.«
»Bestimmt.« Er blickt sich um. »Was haben Sie jetzt vor?«
»Ich lese Marys Tagebuch durch und hoffe den Namen ihres Freundes darin zu finden.«
Er denkt kurz darüber nach. »Sie glauben, dieser Freund hat die ganze Familie umgebracht?«
»Keine Ahnung. Aber er ist gerade mein Hauptverdächtiger geworden.«
11 . KAPITEL
»Das klang dringend. Ist alles in Ordnung?«
John Tomasetti sah über den Schreibtisch hinweg seine neueste Nemesis an, widerstand jedoch dem Drang, einfach aufzustehen und wegzugehen. »Ein Fall«, murmelte er. »Meine Dienststelle.«
Dr. Warren Hunt lehnte sich in seinem schicken ledernen Chefsessel zurück, ein Vorbild, wenn es um Geduld und Abgeklärtheit ging, und sah ihn bedächtig nickend an. »Wenn Sie dienstlich etwas zu erledigen haben, können Sie gerne im Nebenraum ungestört telefonieren.«
Tomasetti blickte auf das Mobiltelefon in seiner Hand. Er wollte jetzt nicht an Kate denken. Er sollte längst auf dem Weg nach Painters Mill sein, anstatt hier in diesem Zimmer zu sitzen, was an sich schon demütigend war. »Bringen wir’s einfach hinter uns.«
Der Arzt lächelte.
Tomasetti war noch nie ein Freund von Ärzten gewesen, aber Seelenklempner hasste er wie die Pest. Die
Wie-fühlen-Sie-sich
-Fragen, die aufgesetzte Sorge sowie die unverhohlenen Blicke auf die Uhr fand er hinterlistig und unehrlich. Leider hatte er keine andere Wahl, er musste mit Dr. Warren Hunt zusammenarbeiten. Auch wenn diese Schlipsträger da oben es Fortschritt nannten, in seinen Augen war es ein Haufen Mist.
»Wo waren wir stehengeblieben?«, fragte der Arzt.
Hunt war schätzungsweise Mitte fünfzig und eigentlich ganz nett, vielleicht ein bisschen zu gestylt für einen Mann in seinem Alter. Andererseits hatte er schon einiges durchgemacht, war seinerzeit ein Jahr in Bosnien gewesen und dann während und nach Katrina als Cop in New Orleans. Doch obwohl all das eigentlich für ihn sprach, hatte Tomasetti ihm gegenüber auch mehr als genug Vorbehalte.
»Ich glaube, wir haben über meine vielen Laster gesprochen«, erwiderte Tomasetti.
Hunt lächelte verhalten, dann blickte er auf die Akte vor sich. Tomasetti wusste, dass sie Berichte enthielt – vernichtende Beurteilungen seiner früheren Ärzte. Das war eine weitere Bedingung gewesen, die er hatte akzeptieren müssen. Und deshalb saß er nun hier.
»Wie ich sehe, haben Sie ein Problem mit Alkohol«, sagte Hunt. »Trinken Sie noch immer?«
Tomasetti sah ihn über den Schreibtisch aus glänzendem Rosenholz hinweg an und fragte sich, wie viel von diesem Gespräch seine Vorgesetzten erfahren würden. »Ich hab die Trinkerei zurückgefahren. Beträchtlich.«
»Joggen Sie noch?«
»Inzwischen schaffe ich wieder ein paar Meilen.« Er war zwar die ganze Woche nicht gelaufen, hatte aber nicht das Bedürfnis, das zu beichten.
»Wie steht’s mit Ihrem Schlaf?«, fragte Hunt. »Schlafen Sie nachts?«
»Besser.«
»Wachen Sie oft auf? Haben Sie Albträume?«
»Manchmal.« Seit zweieinhalb Jahren – seit seine Frau und zwei kleinen Töchter umgebracht worden waren – plagten ihn Albträume. Einige Therapeuten hatten sie als Begleiterscheinung eines posttraumatischen Stresssyndroms bezeichnet und ihm so
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