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Blutige Stille. Thriller

Blutige Stille. Thriller

Titel: Blutige Stille. Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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gegangen ist, bin ich weggelaufen. Ich hatte große Angst und habe ständig nach hinten gesehen und mich jedes Mal im Straßengraben versteckt, wenn ein Auto gekommen ist. Erst als ich schon aus der Stadt heraus war, bin ich langsamer gegangen.
    11. Oktober
    Ich kann nicht aufhören zu weinen. Ich hab Mamm und Datt alles erzählt und mich so geschämt, ich wäre am liebsten gestorben. Mamm hat geweint. Datt konnte mich nicht ansehen. Wir haben gebetet und beschlossen, dass ich mit Bischof Troyer spreche. Doch wie kann ich solche furchtbaren Sünden beichten?
    12. Oktober
    Wer bin ich? Was ist aus mir geworden? Ich hasse mich. Ich hasse ihn. Ich schäme mich so sehr, ich will am liebsten sterben.
    13. Oktober
    Ich habe Datt den Rest erzählt. Alles. Ich glaube, das hat ihm das Herz gebrochen. Es ist das erste Mal, dass ich ihn weinen gesehen habe. Ich fühle mich so schlecht und dumm. Er will zur englischen Polizei gehen. Ich hab ihn angefleht, es nicht zu tun, weil dann alle erfahren, was ich getan habe. Ich kann nicht fassen, was gerade passiert. Manchmal möchte ich einfach nur sterben.
    Um vier Uhr morgens lese ich den letzten Eintrag in Mary Planks Tagebuch. Mir ist, als hätte ich einen Film gesehen, dessen unglückselige Hauptdarstellerin mir ans Herz wächst und auf eine Katastrophe zusteuert, deren ganzes Ausmaß mir von Anfang an bekannt ist. Ein riesiger Meteorit, der unaufhaltsam auf die Erde zusteuert.
    Ich finde es unbeschreiblich traurig, den Abstieg eines amischen Mädchens in eine Welt beschrieben zu sehen, auf die sie ihre Erziehung nicht vorbereitet hat. Wohl auch, weil ich meine eigene Vergangenheit durchscheinen sehe. Meine Situation war zwar anders, aber die Parallelen sind offensichtlich: Wir haben beide die Regeln gebrochen und dafür bezahlt. Mit dem Unterschied, dass ich mir nicht aussuchen konnte, was passiert ist, während die junge Mary immer und immer wieder die falsche Entscheidung getroffen hat.
    Und auf all den Seiten voller Teenager-Angst nennt sie nicht ein Mal den Namen ihres Liebhabers. Nicht ein Mal beschreibt sie sein Auto, erwähnt den Namen des Clubs, in den sie gegangen sind, wo das Haus ist, in dem sie waren, oder womit er sein Geld verdient. Im Moment scheint nicht einmal sicher, dass er der Mörder ist. Aber mein Verdacht liegt nahe. Denn wenn Mary Plank ihren Liebhaber vorgewarnt hatte, war das ein bestechendes Motiv, nicht nur sie selbst, sondern die ganze Familie umzubringen.
    Ich glaube fest daran, dass der Mensch für sein eigenes Handeln verantwortlich ist. Dass er seine Umgebung gestalten kann. Mary Plank hat zweifellos ein schlechtes Urteilsvermögen bewiesen. Lediglich ihre Jugend und die amische Erziehung sprechen zu ihren Gunsten, denn sie hat nie gelernt, sich in der Welt, in die sie sich begeben hatte, mit Vorsicht zu bewegen.
    Ich bin sicher, dass der Mann, der sie so für sich eingenommen hatte, viel älter war als sie, viel erfahrener, und dass er genau wusste, was er tat: Dass er ihre Unschuld ausnutzte, ihre fehlende Weltgewandtheit, ihre Naivität. Und nicht zu vergessen, ihre Liebe für ihn. Das allein macht ihn in meinen Augen zu einem Dreckskerl, den ich aufspüren und mit den eigenen Händen in tausend Stücke reißen will.

12 . KAPITEL
    Das
Klack-Klack-Klack
von zahllosen beschlagenen Hufen erfüllt die spätmorgendliche kühle Luft. Beschwingt von der ersten Kälte dieses Herbstes, steigen dutzenden Pferden weiße Atemwolken aus den weit aufgeblähten Nüstern.
    Ich habe die letzten beiden Tage mit Warten verbracht. Warten ist ein großer und meiner Meinung nach der schwierigste Teil meiner Arbeit. Ich habe den Tatort ein Dutzend Mal abgesucht, immer wieder mit denselben Nachbarn gesprochen, die gleichen Fragen in hundert Variationen gestellt. Und doch immer die gleiche Antwort bekommen: Niemand hat etwas gesehen. Frustration ist mein ständiger Begleiter, ich habe wenig geschlafen und jede zweite Mahlzeit vergessen. Jetzt warte ich auf vorläufige Autopsieberichte, auf Laborergebnisse von Fingerabdrücken, Schuhabdrücken, Patronenhülsen und Projektilmarkierungen. Ich muss mich beeilen und warten – und das gleichzeitig.
    T.J. und ich sitzen im Explorer mit halboffenen Fenstern und beobachten die düstere Prozession. Schwarze Buggys – eine Kreideziffer an der Seite markiert ihren Platz im Konvoi – so weit das Auge reicht. Manche Trauergäste kommen von so weit her wie Zanesville und Western Pennsylvania und haben ihre Reise

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