Blutiger Sand
Sagt ihr, dass wir aus Wien angereist seien, erzählt ihr aber nicht den Grund für unsere Anwesenheit.
Dieses Zusammentreffen ist ihm sichtlich peinlich. Mir ist nur nicht klar, vor wem er sich für wen geniert.
Kaum hat Susan kapiert, dass wir keine ernsthafte Gefahr darstellen, beglückt sie auch uns mit ihrem falschen Charme und beginnt, uns von Europa vorzuschwärmen. „Ich habe letzten Sommer eine Europareise gemacht und mich in Wien verliebt. So eine bezaubernde und interessante Stadt. Man kann die Vergangenheit förmlich riechen. Ich liebe Wien, Sisi und Schönbrunn und Saint Stephans …“
Orlando strahlt sie an, während mir das Lächeln auf den Lippen einfriert.
Nach ein paar Gläschen lädt sie uns ein, morgen Abend bei ihr zuhause vorbeizuschauen.
Meine Laune ist am Tiefpunkt angelangt. Ich bin schwer enttäuscht von Detective Hunters Geschmack. Wie konnte er nur mit so einer Tussi verheiratet gewesen sein? Kein Wunder, dass er heute so angetan war von Orlandos komischem Aufzug.
5.
Las Vegas, Nevada, 17. April 2012
Am nächsten Morgen möchte ich am liebsten sofort aufbrechen. Ich bin wild entschlossen, mich auf die Spuren des Mannes zu begeben, der „The Snake“ genannt wird. Doch Simon Hunter erwartet mich um zehn Uhr in seinem Büro. Dieses Mal will ich alleine ins Police Departement gehen.
Orlando wirkt erleichtert.
Hat er womöglich ein Date mit diesem deutschen Architekturstudenten?
„Du kannst mich mit dem Taxi ein Stück mitnehmen. Ich möchte in den Souvenir-Laden beim Stratosphere Tower, an dem wir gestern vorbeigefahren sind.“
Also kein Date. Ich lasse Orlando beim Bonanza-Gift-Shop aussteigen.
Kaum habe ich Detective Hunters Büro betreten, überfalle ich ihn mit der Bitte, mir wenigstens ein Foto von Dick Carson zu zeigen, wenn ich schon nicht mit ihm reden dürfe.
Wortlos holt er ein Foto aus der Mappe und reicht es mir.
Der Mann auf dem Bild sieht aus wie ein Sechzigjähriger, obwohl er meines Wissens erst Mitte vierzig ist. Sein Körper ist eine unvorteilhafte Mischung aus fett und dünn: knochige Arme und Beine und eine riesige Wampe. Sein Gesicht ist rund, mit ausgeprägten Tränensäcken und einem schlaffen schmalen Hals. Seine Nase dick und fleischig. Er hat dunkelblondes, leicht ergrautes Haar, das er auf dem Foto nach hinten gekämmt trägt, was seine Geheimratsecken betont. Seine Augen sind von undefinierbarer Farbe, irgendetwas zwischen grau und hellblau. Er sieht aus wie der nette freundliche Mann von nebenan. Ein spießiger Nachbar, der den Rasen mit der Nagelschere schneidet.
Dieser unscheinbare Mann hat meine Eltern und viele andere unschuldige Menschen auf dem Gewissen. Ich bekomme eine Gänsehaut und spüre schon wieder die Tränen hochkommen. Will aber nicht heulen wie ein kleines Mädchen. Nicht hier vor dem Detective, der mich mitleidig ansieht.
„Übrigens haben wir tatsächlich neue Informationen über den zweiten Täter.“
Ich wische die nicht geweinten Tränen von meinen Wangen und bin ganz Ohr.
„Als ich gestern Dick Carson noch einmal in die Zange genommen habe, ist er schließlich mit dem Vornamen seines Komplizen herausgerückt. Er heißt angeblich Jimmy. Und seine Spur führt, wie ich vermutet habe, in die Wüsten Arizonas und New Mexicos. Offenbar hat er einige Zeit in Taos gelebt. Als Carson aus dem Gefängnis kam, hat er versucht, wieder Kontakt zu seinem früheren Kumpel aufzunehmen. Scheint ihn aber nicht gefunden zu haben. Er sagt, er habe gehört, dass Jimmy sich zuletzt in einem Hopi-Reservat aufgehalten hätte. Ich weiß nicht, ob er die Wahrheit sagt. Eigentlich hat er keinen Grund, seinen Komplizen zu schützen. Im Gegenteil, wenn es ihm gelänge, einen Großteil der Schuld auf ihn abzuwälzen, könnte er womöglich ein zweites Mal der Todesstrafe entgehen.“ Mit sanfter Stimme fügt er hinzu: „Ich glaube nicht, dass er mit lebenslänglich davonkommen wird.“
„Ich bin eine Gegnerin der Todesstrafe“, sage ich schnell, damit kein Missverständnis entsteht. „Aber ich will diese Schweine wirklich lebenslänglich hinter Gittern sehen. Keine vorzeitige Entlassung wegen guter Führung oder sonst irgendeinem Scheiß. Bei uns in Europa kommen die meisten Mörder schon mit fünfzehn Jahren davon.“
„Manchmal denke ich, die Aussicht, den Rest seines Lebens in einem Gefängnis zu verbringen, ist fast schlimmer, als sterben zu müssen.“
„Für mich wäre es das. Also sollen sie bis zu ihrem Tod verwahrt werden. Und
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