Blutiger Spessart
Also, Simon, kneifen gilt nicht!«
Kerner rieb sich mit der Hand über das Gesicht. »Eberhard, das hat nichts mit Kneifen zu tun, das weißt du. Im Prinzip hast du natürlich recht. Nimm es mir aber bitte nicht übel, wenn ich darüber noch ein paar Tage nachdenke. So eine Entscheidung kann man nicht übers Knie brechen.« Er wechselte das Thema. »Was willst du jetzt als nächsten Schritt unternehmen?«
»Auf jeden Fall den ganzen Klan weiter observieren. Wir sind im Augenblick noch in der glücklichen Lage, in der Sonderkommission ausreichend Beamte zu haben, sodass wir uns das leisten können. Allerdings brauchen wir schnelle Erfolge, andernfalls wird man uns die Männer abziehen. Diese Bande darf meiner Meinung nach keine Zeit haben, Luft zu holen!«
Kerner nickte. »Was machen eigentlich die parallelen Ermittlungen der Steuerfahnder? Wegen des Prozesses habe ich mich in den letzten Tagen nicht mehr darum kümmern können. Wir benötigen möglichst schnell wieder einen Grund für einen Haftbefehl, wenn Emolino jetzt freikommt. Ich befürchte, dass er sich sonst ins Ausland absetzt. Die nötigen Verbindungen zur amerikanischen Mafia hat er ja, wie wir wissen.«
Brunner erhob sich und schlenderte zum Fenster, von dem man einen guten Blick auf die angrenzenden Grünanlagen hatte.
»Die haben bei der letzten Durchsuchung von Emolinos Büro, als der Kerl in Untersuchungshaft saß, kistenweise Beweismaterial mitgenommen. Akten, Computer und dieses ganze Zeug. Das dauert Wochen, bis sie alles gesichtet haben. Wenn das mit Mallepieri geklappt hätte, wäre das alles überflüssig gewesen. Jetzt müssen die Jungs wieder ran.«
Der Oberstaatsanwalt nickte zufrieden, dann stand auch er auf und stellte sich neben Brunner. »Bleiben wir an diesem Dreckskerl dran, wie du gesagt hast. Vielleicht kriegen wir ihn auf der Schiene Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Bei Al Capone hat es damals ja auch so geklappt. Observiert ihn weiter und sorgt dafür, dass er die Überwachung auch mitbekommt. Irgendwann verliert er vielleicht die Geduld, dreht durch und macht einen Fehler! Der Bursche ist es nicht gewohnt, dass man ihm auf die Pelle rückt. Das ist Majestätsbeleidigung, das schwächt sein Ansehen in der eigenen Familie und die Beziehung zu den anderen Mafiafamilien. Man darf nicht vergessen, auch die Tatsache, dass sich einer seiner Männer uns als Zeuge gegen ihn zur Verfügung gestellt hat, ist eine große Blamage. Don Emolino, das Alphatier, ist angeschlagen.«
»Du kannst dich darauf verlassen«, gab Brunner zurück. »Meine Männer sind vor Ort und lassen ihn nicht aus den Augen. Sobald er das Haus verlässt, kleben wir an ihm wie die Kletten. – Was machst du jetzt?«
»Ich fahre nach Hause und schlafe mich erst mal aus. Ehrlich gesagt, bin ich ziemlich fertig. Dieser Mist geht ziemlich an die Substanz.«
Der Kommissar nickte verständnisvoll. Er kannte den Zustand sehr gut, wenn man mit aller Energie in einem Fall ermittelt hatte und einem dann der Verbrecher um Haaresbreite durch die Maschen schlüpfte.
»Du hörst wieder von mir.« Er winkte knapp, dann drehte er sich um und verließ das Dienstzimmer.
Kerner blieb noch einen Augenblick stehen und betrachtete das intensive Grün der Bäume, die nur wenige Meter von seinem Fenster entfernt wuchsen. Er konnte nur hoffen, dass die Männer im Transporter nichts mehr mitbekommen hatten. Da schloss er Mallepieri nicht aus. So einen Tod wünschte man niemandem.
Schließlich gab er sich einen Ruck und vertrieb die grüblerischen Gedanken. Er zog sein Anzugjackett an und verließ das Dienstzimmer. An der bewachten Pforte vorbei verließ er das Haus. Der diensthabende Justizwachtmeister nickte ihm freundlich zu.
Wenig später saß er in seinem schwarzen Land Rover Defender. Wie immer hatte er ihn auf der Straße geparkt, da er mit dem hohen, sperrigen Geländefahrzeug in der Tiefgarage Platzprobleme hatte. Die Stellplätze waren alle für Normalmaße ausgelegt. Dadurch befand er sich jetzt in der glücklichen Lage, über seinen Wagen verfügen zu können. Andere Justizbedienstete, die in der Tiefgarage geparkt hatten, konnten wegen des durch die Explosion verbogenen Tores mit ihren Fahrzeugen nicht das Haus verlassen. Der Eingang zur Tiefgarage musste erst wieder provisorisch gerichtet werden.
Von seinen Kollegen wurde er häufig belächelt, weil er mit einem derart unbequemen Fahrzeug fuhr, aber das störte ihn nicht. Simon Kerner war passionierter Jäger. Eine
Weitere Kostenlose Bücher